Doctor Who in der Vergangenheit

Doctor reist mit der T.A.R.D.I.S. durch Zeit und Raum. Zwar reiste sie*er häufiger in Paralleluniversen und die Zukunft denn in die Vergangenheit. Nämlich 41 Mal in den New Who, den seit 2005 produzierten Staffeln (Stand: S13E04). Dabei traf the Doctor in der Vergangenheit auf allerlei bekannte Personen oder Ereignisse der vor allem englischen Geschichte.

Stark neuzeit-lastig sind die Besuche, denn über die Hälfte der Zeitreisen in die Vergangenheit gingen in die Zeit zwischen 1850 und der Gegenwart. Und nur ganze dreimal reiste sie*er in die Antike und das Mittelalter (= bis ca. 1500): Zur Zerstörung von Pompeji mit (79 v. Chr., S04E02), den Wikingern (irgendwann zwischen 800 und 1100; S09E05) und – auch, wenn er es nicht wirklich glaubt – Robin Hood (Ende 13. Jahrhundert; E08S03). Continue reading “Doctor Who in der Vergangenheit”

Die European Super League: Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich

Ein Alleingang im Fußball, der jedoch genauso schnell in sich zusammenfällt, wie er startete. Was auf die 60-stündige Super League passt, ist nichts Neues, sondern ein altes Schema.

Auch im Fußball gilt: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Weder 2021 die European Super League –noch 1920 die Gründung des ersten deutschen Profivereins, auf die der DFB mit einer Machtdemonstration reagierte, indem er allen involvierten Spielern und Vereinen mit Sperren drohte. Der Verband wollte den Amateurstatus für den Fußball über alle Ligen erhalten. Die Drohgebärde funktionierte. Nur wenige Fans besuchten die beiden einzigen Spiele des 1. Deutschen Berufs-Fußball-Club Berlin und der Hauptinitiator, Otto Eidinger, ging bankrott.

Der DFB als Bewahrer des guten, alten Fußballs

Vor 101 Jahren begann der Fußball in Deutschland so richtig zu boomen und Geld in die Kassen der Verbände und Vereinsbesitzer zu spülen. Die Spieler wollten ihren Anteil daran erhalten, doch der DFB erneuerte in den 1920er Jahren mehrfach sein Amateurstatut: Ja zum Fußball, nein zur Bezahlung. Dabei war eine Entlohnung der Spielerstars bereits vor dem 1. Weltkrieg bei den damaligen Topclubs gang und gäbe, wenngleich nur unter der Hand: Geld, Prämien, angenehme Jobs oder das Bereitstellen einer möblierten Wohnung waren die üblichen Entlohnungen, mit denen die Spieler ihren Arbeits- und damit Lohnausfall in ihrem Beruf kompensieren konnten.

Dennoch war auch schon in den 1910er Jahren offensichtlich, dass er Fußball wirtschaftsgetrieben war. Das steigende Interesse an dem Sport führte zu ebenso steigenden Erwartungen. Für deren Erfüllung waren sowohl ein besseres Training wie auch bessere Spieler notwendig – und damit mehr Geld, das über Zuschauer*innen-Einnahmen gedeckt werden sollte. Je erfolgreicher der Verein, desto mehr Zuschauer*innen, aber für den Erfolg brauchte es immer besser ausgebildete Spieler.

Zwischen Dominanz und Einlenken

So, wie die European Super League nun nur aufgehalten wurde, aber nicht gestorben ist, war die Entwicklung auch vor etwa 100 Jahren in Deutschland: Es gab einige Top-Clubs in den Landesligen, deren Bestplatzierte zu Saisonende in Play-off-Spielen den Deutschen Meister unter sich ermittelten.

Clubs wie der Hamburger SV, FC Nürnberg sowie der FC Bayern und FC Schalke 04 kritisierten die sportpolitische Vereinnahmung des Fußballs durch den DFB: Es sei offensichtlich, dass der Fußball nicht mehr nur zur Körperertüchtigung für potentielle Soldaten diene, sondern auch der Unterhaltung der breiten Bevölkerung. Doch der DFB blieb bei seiner Linie und ließ ab Februar 1925 die Vereine und Spieler noch stärker kontrollieren. Eine Konsequenz war, dass das Nationalteam in diesem Jahr kein Spiel mehr bestreiten konnte, weil den Spielern die Zeit zum Trainieren fehlte und eine Entschädigung der Trainingszeit dem DFB-Amateurstatut widersprach.

Im Jahr 1930 kam es in Gelsenkirchen wie bereits 1885 im englischen Preston: Der DFB führte ein Exempel durch, erklärte 14 Schalke-Spieler aufgrund ihrer erhaltenen Entlohnung zu Berufsspielern und sperrte sie. Doch diesmal ließ auch die Gegenseite ihre Muskeln spielen und zeigte diverse weitere verdeckte Berufsspieler bei anderen Vereinen an. Die anderen Vereine reagierten aber nicht brüskiert, sondern solidarisierten sich mit dem FC Schalke 04. Der DFB fürchtete einen Machtverlust und hob die Sperren auf.

Zeichen für ein Umdenken beim Verband? Nein, im Gegenteil. Denn nach seinem kurzen Einlenken erklärte der DFB dem Berufsfußball eine erneute Absage. Offenbar wähnte er sich als Tonangeber und rechnete nicht damit, was im Oktober 1930 geschehen sollte und was wiederum an den April 2021 erinnert: Es gab ein Treffen mehrerer großer deutscher Vereine, an dessen Ende die Einigung auf die deutsche Professionalismus-Reichsliga stand. Doch entgegen der Entwicklungen der Super League folgten mehrere Monate voller Diskussionen rund um Macht und Wirtschaftskraft. Am Ende stand eine vom DFB gesteuerte Reform, die die Vereine zum Einlenken brachte.

Ein Blick in die Glaskugel

Was bedeutet das nun für die Super League? Die Geister, die der Fußball durch seine Beliebtheit rief, wird er nicht los. Die Spirale des modernen Fußballs wird sich immer weiterdrehen. Das schnelle Ende der Super League zeigt aber auch den Einfluss der Fans und Fanorganisationen, nicht zuletzt über die sozialen Medien: Wir können zwar nicht ihre Drehbewegung aufhalten, denn für zu viele ist Fußball tatsächlich nur ein Entertainment. Aber die Geschwindigkeit der Drehbewegung lässt sich verlangsamen – so wie gerade geschehen.

Ein Zitat, das Mark Twain in den Mund gelegt wird, lautet: Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich. Das trifft auch immer wieder auf dieses Prozedere im Fußball zu.

Und die Geschichte zeigt: Ereignisse wie die Super League sind nicht neu und die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, aber wir können sie gestalten.

1873, Heidelberg. Kein Fußball, sondern Rugby (“football”)

Zufallsfund schreibt Fußballgeschichte neu. Der Historiker Lothar Wieser wollte über einen Revolutionär von 1848 forschen. Stattdessen fand er den ältesten Bericht über ein Fußballspiel in Deutschland aus dem März 1873. Ein Zufallsfund, der Lücken in der deutschen Fußballgeschichtsschreibung offenbart.

Dieser Beitrag für den Deutschlandfunk von Fußballhistoriker Eggers lässt mitunter missverstehen, es handelte sich bei dem Spiel 1873 um Fußball. Das war es aber sehr wahrscheinlich nicht, sondern Rugby bzw. eine Rugby-ähnliche Spielart mit hacking und running game.

Verbreitet war auch diese rugby-football-Spielarten noch nicht, aber sie wurde früher als (Assoziations-)Fußball in Deutschland gespielt. Der Begriff football beinhaltete damals alle Spielvarianten, denn es gab noch keine allzu strikte Trennung (erst in den 1880ern, 1890ern).

Auch Eggers vermutet, dass es sich bei dem Spiel, dessen Spielbericht in der Heidelberger Zeitung 1873 zu finden ist, um ein Rugbyspiel handelt. Sicherheit gibt es nicht, weil nicht genannt wird, nach welchen Regeln gespielt wurde.

Daher ist der Titel etwas missverständlich gewählt, finde ich. Mitunter schreibt es die Heidelberger Rugbygeschichte neu, nicht aber die Fußballgeschichte, denn das in den 1870er Jahren Rugby-Varianten in Südwestdeutschland ein kleinen Boom erlebten, ist bekannt.

Es kann auch gut sein, dass es das bislang älteste Rugbyspiel ist, über das in einer Zeitung berichtet wurde. Aber es war Rugby, kein Fußball. Der älteste Bericht über ein Fußballspiel (ohne Handspiel und running game) kommt weiterhin aus Lüneburg, 1875.

Deutsche Fußball-Geschichte – Born in Lüneburg

Die deutsche Fußball-Geschichte wird immer wieder mit Konrad Koch in Braunschweig begonnen. Dabei ist dies lediglich ein Mythos. Ein Mythos, der sich allzu leicht verbreitete hatte. Nicht zuletzt durch einen Kinofilm über Konrad Koch mit Daniel Brühl oder über eine erst im Sommer 2020 ausgestrahlte Dokumentation des TV-Senders NDR.

Die Anfänge des Fußball Sports in Deutschland liegen in Lüneburg.

Der Beginn der deutschen Fußball-Geschichte

Der Fußballhistoriker Hans-Peter Hock stieß bei Recherchen auf einen Artikel der englischen Wochenzeitschrift The Field, the farm, the garden. The country gentleman’s newspaper vom 04.09.1875. Diese berichtete, dass Ende August ein Fußballspiel nach FA Rules an der Schule Johanneum in Lüneburg stattgefunden hat. Zu einer Zeit, als in Braunschweig oder auch Dresden noch nach Rugby-ähnlichen Regeln gespielt wurde. (Denn Konrad Koch führte Rugby in Braunschweig ein, nicht Fußball. Es hieß früher nur beides football.)

Dieser Fußballclub an der Schule von Lüneburg wurde 1874 gegründet und bestand vermutlich nur kurze Zeit, wenngleich es im Jahr 1875 noch weitere Spiele gab. Davon bezeugt nicht nur The Field, sondern auch der Lokal-Zeitung von Lüneburg.

Aber es ist für früheste Nennung eines Fußball-Spiels in Deutschland gespielt wurde.

Protagonisten in Lüneburg waren der deutsche Lehrer Wilhelm Karl Philipp Theodor Goerges (1838–1925) und der junge englische Schüler Richard Ernest Newell Twopeny (1857–1915), der zuvor am Marlborough College zur Schule ging. (Exkurs: Twopeny wanderte im Mai 1876 mit seiner Familie nach Australien aus, wurde dort Journalist und Sekretär der South Australian Football Association.)

Meine Linksammlung für die deutsche Fußball-Geschichte ist hier online.

Die deutsche Fußball-Geschichte – von Engländer*innen begründet

Es waren in Lüneburg und zahlreichen weiteren deutschen Städten vor allem Engländer*innen, die die Football-Spielarten wie weitere Sportarten nach Deutschland brachten. Sie waren Geschäftsleute, Urlaubende, Schüler*innen und Studierende und sie spielten in ihrer Freizeit in Deutschland natürlich ihr liebgewonnenen sports. So kam der Fußball nach Deutschland – und viele weitere Länder der Welt.

Die Reaktion von Braunschweig

Natürlich war man in Braunschweig nicht sehr begeistert über diesen Zeitungs-Fund und den Hinweis darauf, dass jener football, den Konrad Koch in Braunschweig einführte, Rugby war. Ein Irrtum, der durch die deutschen Worte zustande kommt. Das deutsche Wort Fußball meint nur association football. Das englische Wort football bedeutete aber noch bis ins 20. Jahrhundert sowohl association football (➡️ Fußball) als auch rugby football (➡️ Rugby).

So pocht Braunschweig auf Kochs Weitsinn, „Fußball als pädagogische Mittel im Schulalltag“ aufgenommen zu haben. Dabei übersehen sie, dass auch in Lüneburg Fußball (und hier tatsächlich literally football) an der Schule gespielt wurde.

„Wenn in Lüneburg tatsächlich erstmals ein Fußballspiel nach modernen englischen Regeln gespielt wurde, so freut uns das und es ist ein weiterer Beleg dafür, wie fortschrittlich die Lehrer damals in Norddeutschland mit dem damals ja neuen Thema des Ballsports umgegangen sind. Es dürfte ohnehin an vielen Orten in Deutschland in dieser Zeit eine aufkeimende Begeisterung für Ballsport gegeben haben. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass auf Initiative des Braunschweigers Konrad Koch, den Fußball als pädagogisches Mittel im Schulalltag aufzunehmen, der lange und erfolgreiche Weg dieser Sportart in Deutschland geebnet wurde. Bis heute zeigt sich dies in dem von ihm formulierten deutschen Regelwerk für den Fußball, aus dem zum Beispiel die bis heute noch gültige Abseits-Regel stammt.“
– Stellungnahme der Braunschweig‘s Stadtmarketing GmbH für den TV-Sender NDR.

Tatsächlich war Braunschweig für die deutsche Fußball-Geschichte nur ein Ort von vielen und Konrad Koch nur eine Person von vielen, in denen der rugby football schnell populär wurde. Doch seine Ansichten wurden am deutlichsten überliefert.

 

Bleibt zu hoffen, dass Lüneburg auf breiter Basis in die deutsche Fußball-Geschichte eingeht, ohne aber Kochs Engagement zu mindern.

Die Quelle

The Field 46, 1875, p. 272:

„Lüneburg College Football Club. – Football has now become quite a popular game here, and the adoption of the Association rules has effected a decided improvement in the last year’s somewhat irregular play here. Out of a school of 600 boys, there is naturally a good deal of good material, and the vigour with which pick-ups have been played since the end of the holidays shows well for the coming season. The school has also secured a new and very good ground close to the town, which was inaugurated on the 28th, by the match Classical v. Modern School. Each side had unfortunately lost two members at almost the last moment, and the game was reduced to nine a side, in spite of which a capital match ensued. Modern won the toss, and, there being little or no wind, chose the top goal, Jochmus kicking off for Classical punctually at 5. At first the ball has a tendency to go out, and in the first twenty minutes did not go near either goal, till a long kick from Twopeny, well followed up by the forwards resulted in a goal kicked out of the scrimmage by Behling. Classical now played up very hard, and made more than one shot at goal. A. Crohen being at last rewarded with success. The ball having been kicked off by Twopeny, he followed it up, and after a short dribble secured a second goal for Modern by a near left-footer. From this point the Modern forwards worked very well together, Clausen’s charging being especially good. Behling, after a nice dribble, made a capital try at goal, the ball hitting the post; and immediately afterwards a fine long kick of Twopeny, who kicked very straight and far throughout, brought him another goal. Modern now entirely assumed the offensive, and were only kept out of the Classical’s goal by F. Jochmus and H. Crohen’s good kicking. Soon afterwards the inattention of the Modern goal keeper resulted in a goal neatly kicked after a short dribble by A. Crohen. The game was now kept pretty even to the end, Twopeny securing an easy goal off a free kick. A capital goal kicked by Kühns just before time was disallowed, as he was off side, and a very pleasant game was ended at 6:30, Modern being left victors by four goals (Behling 1, Twopeny 3) to Classical two (A. Crohen 2).

For Classical the two Crohens, Jochmus, and Kühns are worthy of mention, while for Modern their captain (half back), well backed up by Behling, Clausen, and Waldmeister as forwards, played the best. Altogether the play showed great promise, though the “off-side” rule is not very strictly attended to.

Modern: H. Distel (goal), R. E. N. Twopeny (Marlborough College, captain), and R. Heiptker (half backs), E. V. Clausen, A. V. Behling, H. E. Waldmeister, R. Distel, J. E. Wolfson (Bradford), and W. Hanke (forwards). Classical: F. Jochmus (captain, goal), A. Crohen, and H. Crohen (New York) (half-backs), A. Bever (Bradford), and G. Kühns, Mahlsohn, H. Jochmus, G. Heine, and E. Hanke (forwards).

The following are the committee for the present season: R. E. N. Twopeny captain, F. Jochmus hon. sec., A. Crohen treasurer.”

Moderner Fußball um 1900

Moderner Fußball …

“[…] it is evident that football is quite an ancient game. Time alters everything, and it has undoubtedly done so in football. Where one used to play with half the village on one side and the same on the other, it is now restricted to sides composed of eleven players. As I have been requested to write on the modern game it is not worth while dwelling upon how it was played a hundred years ago. Football is really supposed to be a Scottish game, but it was in England that a proper Association with defined rules was first started.” (John Cameron: Association Football and How to play it. London [1908]. S. 7.)

Der Begriff des modernen Fußballs ist kein Begriff der letzten Jahrzehnte, wie ich im vergangenen Jahr in zwei Longreads bei 120minuten über England und Deutschland schon veröffentlicht und anschließend im dazugehörigen Podcast dargestellt habe. (Links aktuell – 03.10.2020 – nicht verfügbar.)

1870er Jahre: Kombinationsfußball

Sowohl Montague Shearman (1887), Charles William Alcock (1906) und zitierter John Cameron (1908) beschreiben in ihren Schriften über das Fußballspiel, was sich seit der Gründung des ersten Fußballverbandes 1863 bereits verändert hat. Dabei beziehen sie sich nur auf association football, also Assoziationsfußball bzw. Verbandsfußball als Abgrenzung zum Rugby. Hier eine kurze Zusammenfassung ihrer Darstellungen. Moderner Fußball – in England um 1900. Zu einer Zeit, als in Deutschland gerade der DFB gegründet wurde.

In den 1860er und 1870er Jahren war die FA deutlich von adeligen und bürgerlichen Gentlemen dominiert, die Fußball zu einem großen Teil bereits als Disziplin- und Moralübung in der Schule kennen- und lieben gelernt haben. Besonders in den ersten Jahren nach der Gründung der FA war Fußball eine reine Freizeitbeschäftigung und Mittel zur Übungen für ehemalige Schüler von public schools. Man verurteilte das körperbetontere Fußballspiel, das unter anderem an der public school in Rugby gespielt wurde und der Spielform später den Namen gab. Schon damals gab es den Terminus des scientific play, dass man heute am besten als Zauberfußball bezeichnet: Es geht um Spielweisen, die die Zuschauer ins Staunen versetzt. Scientific play der 1860er war es, möglichst lange und virtuos den Ball dribbeln zu können. Backing up bezeichnete nur die Variante, dass alle anderen Spieler in der Mannschaft dem Dribbelnden im Windschatten folgen, damit sie den Ball abfangen können, falls er ihn vom Gegner abgeluchst bekommt. Die einzigen, die nicht immer folgten waren die beiden backs/Verteidiger. Half backs/Mittelfeldspieler gab es in diesem Spielsystem noch keine.

Moderner Fußball ^1.

In den 1870er Jahren wurde der Fußballsport für andere Sport- sowie Leichtathletikteam attraktiv, um sich in den Pausen fit zu halten. Es war auch üblich, dass eine Person in den warmen Monaten Cricket spielte und in den kühleren Monaten Fußball, um sich fit zu halten.

Ab etwa der Mitte der 1870er Jahre wurde dann auch das Spielsystem etwas verändert und künftig im 2-2-7 oder 2-2-6 mit fester Positionszuteilung im Sturm gespielt und je nachdem, ob schon ein Spieler als Torwart festgelegt wurde. Eben in dieser Phase verlor der Wanderers FC seine Dominanz bei FA Spielen an die old boys teams, wie die Mannschaften ehemaliger Schüler einer Schule genannt wurden. Die Wanderers bestanden aus den besten ehemaligen public-school-Schülern, doch in den 1870ern wurde es modern, dass Schulen ihre eigenen Old … -Mannschaften gründeten. Das hatte zur Folge, dass die Alumni der public schools aus Verbundenheit lieber im Verein ihrer Schule spielten als bei den Wanderers. So wurden für etwa ein Jahrzehnt die Old Etonians, Old Carthusian, Old Wykehamists, etc. die erfolgreichen Mannschaften.

1880er Jahre: Professionalismus

Im Laufe der 1880er Jahre wandelte sich der Fußball enorm. Moderner Fußball ^2.

Es begann im Norden mit den Mannschaften von Entrepreneurs, die weniger den Zeitvertreib und vielmehr Reichtum und Ansehen im Blick hatten, und Arbeitern, die ihre Chance zu nutzen versuchten, als Fußballer der gefährlichen oder allzu stupiden Arbeit in Bergwerken und an Fließbändern zu umgehen. Das große Geld lockte schon damals. Auch das Spielsystem wandelte sich mehr und mehr zu einem Kombinationsspiel. In der zweiten Hälfte der 1880er Jahre wurden diese Änderungen auch in der südlicheren Hälfte Englands von mehr und mehr Mannschaften umgesetzt.

Shearman veröffentlichte seine Schrift 1887 und für ihn waren die wichtigsten Änderungen seit 1863 neben dem Professionalismus die bereits 1866 geänderte Abseitsregel und die veränderte Form des Einwurfs bzw. Eintritts von der Seitenlinie – ja, damals konnte gewählt werden, ob das Spiel mit einem Einwurf oder einem Eintritt fortgesetzt wurde. Außerdem war die Entwicklung zum Kombinationsspiel für ihn bahnbrechend. Man spielte zwar in London und Umgebung immer noch im 2-2-6 oder 2-2-7, aber das Spiel hatte zu sich einem selbstlosen Spiel entwickelt, in dem nicht mehr die Kunststückchen der einzelnen Spieler im Vordergrundstanden, sondern das Zusammenspiel, der Spielaufbau und die Manndeckung. Ihm war außerdem wichtig, dass das Fußballspiel ein Wintersport bleibt und sich die Spiele nicht noch mehr in den Sommer (d.h. über März hinaus) verlagern und dass sich das Kopfballspiel weiterentwickelt. Das Passen per Kopf war damals noch sehr unüblich und wurde erst am Ende der 1880er Jahre üblicher. Häufig schien es noch sehr als „Clownerie“ (so Shearman) zu erinnern, weil die Spieler kaum Geschick darin hatten.

Die Entwicklungen der darauf folgenden zwanzig Jahre schildern Charles William Alcock und vor allem John Cameron.

Cameron stellte eingangs fest, dass die Begeisterung für das Fußballspiel mehr und mehr ansteigt und prophezeite, dass das Spiel „noch mindestens eine Generation gespielt wird“ ((Vgl. Cameron, John: Association Football und wie man es spielt. London [1908]. S. 63.)). Eine Aussage, die uns heute schmunzeln lässt und sogar noch mehr, wenn man liest, dass für Cameron die Ausübung von Radfahren und Laufen „durch das Fehlen einer Organisation“ ((Vgl. Cameron, John: Association Football und wie man es spielt. London [1908]. S. 63.)) bereits dem Untergang geweiht seien. Was löste die Begeisterung aus und half dabei, dass sie nicht abebbte? Cameron nennt hier den Zusammenhalt der Spieler und die Unterstützung durch Lehrer, die das Fußball im Unterricht einsetzen, außerdem das verbesserte Training (eher: Essen), auf das ich letzten Dezember näher eingegangen bin. Alcock ergänzt die Weiterentwicklung des Spielsystems zum 2-3-5 und damit des Kombinationsfußballs.

 

Literatur

  • Shearman, Montague: Athletics and football. London 1887.
  • Alcock, C. W.: Football. The Association Game. London 1906.
  • Cameron, John: Association Football and How to play it. London [1908].

 

Fotocredits: Frontispiece from the book Association Football and How to Play It (1908) by John Cameron. Photograph of the author, Scottish-born footballer and Tottenham Hotspur player-manager, John Cameron. https://en.wikisource.org/wiki/File:AS%26HTPI_frontis_John_Cameron.png

Das Morley-Doodle und falsche Berichte

Am 16. August 2018 veröffentlichte Google ein Doodle zu Ehren des 187. Geburtstags von Ebenezer Cobb Morley in Kuba, Peru, Kolumbien, Brasilien, Argentinien, Neuseeland, Australien, China, Vietnam, Indien, Griechenland, Frankreich, Kroatien, Polen, Litauen, Estland, Deutschland und im Vereinigten Königreich. Allein in Googles Beschreibung des Doodles wimmelt es von Fehlern oder zumindest streitbaren Äußerungen, die ich in diesem Beitrag benennen möchte. Und euch dazu animieren möchte, nicht alles für bare Münze zu nehmen.

Dass ich mich überhaupt mit der Entwicklung der Fußballregeln und -regelwerke beschäftige, hat mangelndes quellenbasiertes Arbeiten als Ursache. Auf der Suche nach Jahreszahlen merkte ich, dass sich Jahreszahlen widersprachen und das nur in allerseltensten Fällen auf die zeitgenössische Quelle (z.B. Zeitungsberichte) verwiesen wird. Die Annahme, dass viele einfach Informationen von zwei, drei Seiten beziehen und diese nicht weiter überprüfen, bestätigt sich immer wieder. So auch bei diesem Doodle.

== Nachträglich Anmerkung: Ich habe nach Erstellen des Posts die Links nicht mehr überprüft. Gut möglich, dass manche Berichte nachträglich berichtet wurden. ==

Dass SWP die ersten FA-Treffen auf 1982 datiert und India Today Morley Geburtsjahr auf 1861, BGR verwechselt es mit 1924, seinem Todesjahr. Klar, das sind Flüchtigkeitsfehler.

Ich nenne nur hier die Quellen, die etwas zu Morley Doodle am 16. August 2018 in deutsch oder englisch gepostet haben. Sofern sie sich nicht auf Google berufen, kann ich nicht näher benennen, woher diese Seiten wiederum ihre Informationen bezogen haben.

Vor den FA Rules von 1863 war das Fußballspiel chaotisch. 
(Quellen: Google und davon vermutlich kopierend: CNN, Googlewatchblog, Express (England), Stern, SWP, Gala, heute.at, The Statesman, News18, Click on Detroit, Augsburger Allgemeine, Latestly, local10, Fox Sports Asia, DNA India, Spiegel Online)

Streitbar. Was ist “chaotisch”? Unreglementiert? Gefährlicher? Hier wäre eine eindeutigere Benennung sinnvoll gewesen. Chaotisch meint vielleicht auch, dass es kein in ganz England gültiges Regelwerk gab. Aber das blieb auch noch viele Jahre nach 1863 so.

Das Fußballspiel vor 1863 war brutal. Das regulierten die FA Rules zum Beispiel durch die Regel 13: Kein Spieler darf Schuhe mit abstehenden Nägeln, Eisenplatten oder Guttapercha an den Sohlen und Absätzen tragen.
(Quellen: Google und davon vermutlich kopierend: Computerbild, Googlewatchblog, NDTV, The Sun, CNN, Moneycontrol, Indian Express, Stern, SWP, Gala, zeenews, The Statesman, Hull Daily Mail, news.com.au, India Today, BGR, Click on Detroit, Latestly, local10, Fox Sports Asia, DNA India, Spiegel Online)

Falsch. Diese Regel 13 gibt es selbst in den Regelwerken jener Schulen, die nach unserer heutigen Auffassung eine Art von Rugby oder American Football spielten, so Rugby School. Und das bereits 1845.

Morley stand durchaus 1863 für ein weniger gefährliches Fußballspiel ein, aber erstens nicht alleine, sondern u.a. mit Alcock und Pember und zweitens ging es um das hacking, gefährliches Attackieren könnte man es nennen. Um die Diskussionen um das Verbot von hacking habe ich erst zuletzt einen Beitrag hier veröffentlicht. Dis Diskussion führte Blackheath FC pro hacking, aber selbst in deren Regelwerk von 1862 ist alles aus Schuhen Herausstehende verboten. Aber insbesondere das Spiel an der Cambridge University war genauso wenig brutal wie  das Fußballspiel nach den FA Rules.

Morley Regelwerk / Morley entwarf 13 Regeln [oder ähnlich ausgedrückt].
(Quellen: Google und davon kopierend/zitierend: Computerbild, Googlewatchblog, NDTV, The Sun, CNN, Indian Express, Express (England), Stern, heute.at, zeenews, Hull Daily MailHindustan Times, News18, news.com.au, BGR, Click on Detroit, Augsburger Allgemeine, Latestly, metro.co.uk)

Falsch. Ja, Morley brachte zum ersten Treffen seine Vorstellung der Regeln als Entwurf mit. Dieser hatte 23 Regeln. Falsch ist, dass die 1863 publizierten Regeln von ihm sind bzw. dass er 13 Regeln vorschlug. Die Entwürfe, die auf den vorbereitenden Treffen diskutiert wurden, unterscheiden sich aber in Teilen von den 1863 veröffentlichten Regeln. Das veröffentlichte Regelwerk fußt zu einem ganz großen Teil auf ebenfalls in der zweiten Jahreshälfte 1863 veröffentlichten Regelwerk der Cambridge University. Die FA regulierte es an manchen Stellen, nämlich:

  • die Spielfeldgröße (von 100×200 yd auf 100×150 yd),
  • die Tormaße (von 15 ft auf 8 yd, bedeutet aber in unserem Maßsystem auf zwei Nachkommastellen gerundet keinen Unterschied macht),
  • bei dem Anstoß gab es bei der FA keinen Mindestabstand von 10 yd für alle Nicht-Ausführenden,
  • der Eintritt von der Seitenlinie statt dem Einwurf,
  • der Seitenwechsel, der 1863 in Cambridge nur zur Halbzeit durchgeführt wurde, bei der FA zunächst nach jedem Tor.

Alles andere wie die Torerzielung, unerlaubtes Spiel und Handspiel, Vorgaben zum Schuhwerk (ja, auch das), Freistöße, usw. waren bei beiden Regeln identisch.

Morley formalisierte die Abseitsregel wesentlich.
(Quellen: Google und davon vermutlich kopierend: Computerbild, zeenews, Hull Daily Mail, News18, India Today, BGR)

Um diese Aussage zu bestätigen, fehlen mir die Quellen. In den Zeitungsberichten für die Generalversammlung 1866 (nicht vorher!) ist nicht vermerkt, auf wessen Vorschlag die bisherige Abseitsregel geändert wurde. 1863 war jede/r abseits, der der gegnerischen Torlinie näher war als der Ball, 1866 war man abseits, wenn weniger als drei gegnerische Spielende im Moment des Passspiels vor der/dem angreifenden Spielerin/Spieler standen. Der Googlewatchblog und Stern treiben es auf die Spitze und schreibt, dass es 1863 keine Abseitsregel gab.

Abseits gab es nicht.
(Quellen: Computerbild, Googlewatchblog, SternGala, BILD)

Sehr wohl gab es 1863 eine Abseitsregel. Ich zitiere Regel 6 aus dem 1863 veröffentlichten Regelwerk der FA: “When a player has kicked the ball any one of the same side who is nearer to the opponent’s goal line is out of play and may not touch the ball himself nor in any way whatever prevent any other player from doing so until the ball has been played; but no player is out of play when the ball is kicked from behind the goal line.”. Übersetzt: “Wenn ein Spieler den Ball zu einem Mitspieler / einer Mitspielerin der eigenen Seite gekickt hat, die /der näher an der Torlinie des Gegners ist als der Ball, der ist aus dem Spiel und darf den Ball weder selbst berühren noch in irgendeiner Weise andere Spieler daran hindern, dies zu tun, bis der Ball gespielt wurde; aber kein Spieler ist aus dem Spiel, wenn der Ball hinter der Torlinie gekickt wird.” (Der letzte Halbsatz bezieht sich auf die damaligen Vorläufer unseres heutigen Eckstoßes, hier ein wenig näher erklärt.

Morley war der Vater des modernen Fußballs
(Quellen: Google und davon vermutlich kopierend: Computerbild, Time of India, NDTV, The Sun, Moneycontrol, Indian Express, Express (England), SternSWP, Gala, heute.at,  zeenews, The Statesman, Hull Daily Mail, News18, news.com.au, India Today, Click on Detroit, Augsburger Allgemeine, Latestly, metro.co.uk, local10, Fox Sports Asia, Spiegel Online, BILD und bereits vor dem 16.08.18 zahlreiche Veröffentlichungen)

Streitbar. Oder anders: Würde ich akzeptieren, wenn die beiden Wörter “einer der” ergänzt wird. Er war sicher einer der Väter des modernen Fußballs bezeichnen. Ich freue mich dann auf weitere Doodles für Thomas Arnold, Charles William Alcock und noch eine mehr, in Deutschland dann auch gerne noch Konrad Koch und Walter Bensemann. metro.co.uk, bezeichnet Morley zwar in der Überschrift als “father of modern football” , schreibt im Bericht dann aber richtig “The Yorkshireman is credited as being one of the founding fathers of football as we know it today and it is a reputation he thoroughly deserves.”.

Und a propos “Moderner Fußball”: Zu diesem sehr definitionsabhängigen Begriff und Fußball in England habe ich für 120minuten einen Beitrag geschrieben.

Der am 16. August 1831 in der englischen Stadt Hull als Sohn eines Ministers geborene Ebenezer Cobb Morley […].
(Quelle: Computerbild)

Nicht fußballhistorisch, sondern inhaltlich bzw. die Übersetzung falsch. Einmal googeln und bereits mehrere Seiten auf der ersten Seite hätte geholfen, welche Übersetzung für “minister” hier zutreffend ist. Minister ist es nämlich nicht, sondern Geistlicher. Ebenezer Cobb Morley Vater war Reverend Ebenezer Morley.

Morley gründete 1858 mit dem Barnes Club den ältesten Fußballverein der Welt.
(Quelle: Computerbild, BILD)

Falsch. Holla, wow, da haben gleich mehrere Vereine etwas dagegen, nämlich der 1857 gegründete Sheffield FC und – streitbar – der 1824 gegründete und 2007 wiedergegründete Foot-Ball Club aus Edinburgh, über dessen Geschichte vor kurzem John Hutchinson und Andy Mitchell ein Buch veröffentlicht haben ((Vgl. Hutchinson, John/Mitchell, Andy: The World’s First Football Club (1824). John Hope and the Edinburgh footballers. A Story of Sport, Education and Philantropy. North Carolina: CreateSpace 2018.)). Letzterer hat sich offenbar zunächst in den 1840er Jahren aufgelöst (es gibt dazu keine Quelle, aber der Verein wird später nicht mehr erwähnt) und wurde nun “wiedergegründet”, sofern man es auf Grund der fehlenden Quelle für eine Auflösung überhaupt so bezeichnen möchte. In Edinburgh mag man wahrscheinlich lieber den Ausdruck “pausiert”.

Die FA Rules von 1863 legen unter anderem die Spielerzahl und die Spieldauer fest.
(Quelle: Computerbild, BILD)

Falsch. Beides, Spieleranzahl und Spieldauer, wurden erstmal 1897 durch das IFAB festgelegt.

Das Fußballspiel gegen Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch nur sehr wenige Regeln gesteuert.
(Quelle: Googlewatchblog)

Falsch. Die Rugby School Rules von 1845 haben 37 Regeln, die FA Rules von 1863 13 Regeln. Und das Fußballspiel an der Privatschule in Rugby war wesentlich chaotischer/gefährlicher als das von der FA erlaubte Fußballspiel.

Ab 1863 war das Fußballspiel attraktiver und strukturierter.
(Quelle: Googlewatchblog, CNN, Stern, SWP, Gala, heute.at, Hull Daily Mail, News18, Westfälische Rundschau, Augsburger Allgemeine, Spiegel Online)

Streitbar. Attraktiver und strukturierter wurden sie für mich erst in den folgenden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, wie zum Beispiel die erwähnte 1866 eingeführte neue Abseitsregelung. Oder das sich entwickelnde Amt des Schiedsrichters (zur Entwicklung: hier (Regel V – Schiedsrichter) und hier (Regel VI – Schiedsrichterassistenten).)

Ein Spiel wird es auf der rechten Seite des Doodles zu sehen ist, war erst ab 1866 möglich.

 

Das Fußballspiel ab 1863 bot den Zuschauern mehr.
(Quelle: Googlewatchblog, heute.at)

Streitbar. Zuschauer als Fans entwickelten sich erst in den 1880er Jahren, bisweilen auch Ende der 1870er Jahren.

Bereits vor 1863 gab es Eckstöße, Freistöße und Einwürfe. Diese wurden aber erst durch die FA Rules flächendeckend eingeführt.
(Quelle: Berliner Morgenpost, Westfälische Rundschau)

Falsch. Freistöße nach Fouls und Eckstöße gab es beides ab 1872. Richtig ist, dass es einen Einwurf gab und das Eckstöße und Einwürfe bereits in anderen Regeln verankert waren, so zum Beispiel in den Sheffield FC Rules (1858-1867) und Sheffield FA Rules (1868-1877). Der Freistoß war allerdings bis 1871 immer eine Belohnung, keine Bestrafung.

Und außerdem: Die FA Rules waren nicht automatisch 1863 in ganz England oder gar im ganzen Vereinigten Königreich gültig. Erstmal nur im London und Umland und wenigen anderen Vereinen.

Morley war die erste Person, die die Regeln des Fußballs niederschrieb.
(Quelle: Express (England), Stern, Galaheute.at, zeenews, Independent, Click on Detroit, n-tv, local10, Fox Sports Asia, DNA India, Spiegel Online, BILD)

Falsch, denn es gab bereits vor 1863 zahlreiche Regelwerke. Von denen beschreiben die meisten frühen eher ein rugbyähnliches Spiel, aber spätestens die Cambridge University Rules von 1857 beschrieben das Fußballspiel, das wir als Fußball bezeichnen.

Die Fußballregeln wurden beim Treffen am 26.10.1863 formuliert.
(Quelle: Fox Sports Asia)

Falsch. Am 26.10.1863 war das erste Treffen. Die Regeln, wie sie veröffentlicht wurden, wurden beim fünften Treffen am 1.12.1863 so entworfen und am 8.12.1863 letztendlich bestätigt und dann veröffentlicht.

 

Vielleicht hat ja jemand Lust, den seit zwei Tagen existierenden Eintrag zu Morley in der deutschen Wikipedia entsprechend zu verbessern.

 

Fotocredits

Screenshot des Google-Doodles anlässlich E. C. Morley 187. Geburtstag.

Vom Kaiserreich zur Kommerzialisierung: Deutschland und der moderne Fußball

„Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. Synonyme sind Adjektive wie aktuell, neu(artig), zeitgemäß und meinen damit auch fortschrittlich und etwas, das gerade eben („modo“) beliebt geworden ist. Ähnlich definiert es auch der Duden. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Allerdings geht es hier wirklich nur um die Anfänge des Fußballs, d.h. um etwa die Phase 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland.

Dieser erste von zwei Teilen befasst sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England.

Dieser Beitrag erschien erstmals 2019 auf 120minuten.net

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gab es in England football, in Frankreich soule, in Italien calcio. In Deutschland, genauer gesagt dem damaligen deutschen Kaiserreich, gab es vor dem 19. Jahrhundert kein Fußballspiel. Es konnte also nicht auf schon bekannte Formen zurückgreifen, die in der Folgezeit reguliert wurden. Fußball war unbekannt. Und daher musste er erstmal Fuß fassen, um modernisiert werden zu können. Denn das Wort modern setzt ja voraus, dass es schon eine Vorform, eine antike Form zuvor gab.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und beide Fußballvarianten, Rugby und (Assoziations-)Fußball, nach Deutschland. Denn die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf die liebgewonnenen Sportarten verzichten, die auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterte. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen an Fußball und imitierten ihn. Das passiert vor allem in den so genannten Engländerkolonien in Deutschland. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, oder in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen. Auch in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt sind hier Beispiele – und in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

Soziale Herkunft der Fußball-Liebhaber: Engländer in Deutschland und Konrad Koch

Es waren aber nicht nur die in Deutschland lebenden Engländer, die den Fußball in Deutschland bekannt machten, sondern auch Konrad Koch, der Thomas Arnolds Ideologie und Leben profund während seines Studiums erforscht hatte. Koch muss von Arnold begeistert gewesen sein, denn er kopierte ihn und führte als Lehrer das Fußballspiel 1874 am Martino-Katharineum in Braunschweig ein, um die Jugendlichen fit zu machen und um die Basis für eine athletische Elite zu legen. Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren. Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie es in England damals gerade passierte. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über. Als die erste Assoziationsfußballmannschaft in Deutschland gilt der Lüneburg College Football Club, bei dem den Namen der Spieler nach auch aus Deutschland stammende Schüler spielten.

Vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-20. Wer mehr zu Konrad Koch wissen möchte, sei Malte Oberschelps 2015 erschienene Biografie über Koch sehr empfohlen.

Denn in Deutschland war das Turnen die Körperertüchtigung Nummer Eins. Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt geworden, war das Turnen eng mit studentischen Verbindungen und dem Einheits- und Nationalgedanken verbunden. Die aus England kommenden Sportarten wie Rugby oder Assoziationsfußball, Tennis oder Cricket wurden argwöhnisch beobachtet, weil sie eben aus England stammten und nicht deutschen Ursprungs, also nicht Teil der deutschen Kultur waren. Dazu kamen die Übersetzungsschwierigkeiten des englischen Begriffs sports, der letztendlich einfach in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Auch Fachbegriffe wie offside, hand, to center oder goal wurden zunächst übernommen.

Die Spielbewegung und der Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen

Im November 1882 erließ der preußische Kultusminister, Gustav von Goßler, den nach ihm benannten Spielerlass. Er ermunterte darin die preußischen Kommunen, Spielplätze zu bauen und Turnen (später auch Bewegungsspiele/Sport) als regelmäßigen Teil des Unterrichts zu integrieren. Gleichzeitig sollten schulfreie Spielenachmittage etabliert werden.

Neun Jahre später, am 21. Mai 1891, gründeten von Goßler und der preußische Abgeordnete Emil Freiherr von Schenckendorff den Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen (ab 1897 Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugendspielen), kurz ZA. Der ZA war dabei kein Zusammenschluss von Fußball-Liebhabern verschiedener sozialer Herkunft, sondern bestand vor allem aus Mitgliedern der Nationalliberalen Partei und dessen Alldeutschen Verbandes (gemeinsame Ziele: Stärkung des deutschen Nationalbewusstsein, Pro-Imperialismus), somit vor allem Politikern, Beamten und Armee-Angehörigen. Ihr vorrangiges Ziel war aber nicht, den Sport politisch zu vereinnahmen, sondern vielmehr eine philanthropische, erzieherische, militärische und sozialdarwinistische Mischung, eine „gesunde“ Elite an sportlichen Deutschen und damit potentiellen Soldaten heranzuziehen. Daher versuchten die engagierten Persönlichkeiten, die Gräben zwischen Turnern und Sportlern aufzufüllen und zwischen ihnen zu vermitteln. Turnen und Sport (zeitgenössisch auch Bewegungsspiele genannt) sollten parallel existieren und sich ergänzen. Um diese Absicht zu erreichen, versuchte der ZA, die einzeln wirkenden Kräfte in Deutschland zu bündeln, um so das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen. Dazu gehörte der Zentralverein für Körperpflege in Volk und Schule, der Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen, das Komitee für die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen 1896 und später der 1911 gegründete Jungdeutschlandbund, in dessen Bundesleitung auch viele Mitglieder des ZA vertreten waren und der sich wie der ZA in der vormilitärische Ausbildung engagierte.

Wie versuchte man, die Ziele zu erreichen? Nun, durch einen intensiven Lobbyismus in Militärbehörden und Schul- und Stadtverwaltungen, Englandreisen, regelmäßige und verschiedene Zielgruppen ansprechende Veröffentlichungen und eine enorm große Werbetätigkeit. Die Geldmittel kamen aus dem preußischen Kultusministerium und anderen deutschen Landesregierungen.

Der ZA erreichte letztendlich seine Ziele der Verbreitung der Sportarten und die nationale Ausrichtung dieser.

Der Deutsche Fußballbund

In den 1890er Jahren entstanden eine Reihe von neuen Vereinen und auch erste regionale Fußballverbände, zum Beispiel in Berlin (Bund Deutscher Fußballspieler 1890, Deutscher Fußball- und Cricketbund 1891). Doch während Vereine in England gewachsene Gemeinschaften waren, gab es in Deutschland eine hohe Fluktuation in den Vereinen und daher auch einen geringen Zusammenhalt der Spieler. Die Identifikation mit einem Club war also nicht gewachsen – das kam dem ZA ungelegen. Seine Versuche, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten zunächst an Unstimmigkeiten zwischen den Verbänden. Nach einigen Jahren der Vermittlung gab es Ende Januar 1900 in Leipzig einen neuen Versuch, einen deutschen Verband zu gründen. Nun stimmten 60 der 86 Vereine für die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Die Gründungsmitglieder waren sowohl regionale Verbände (Verband südwestdeutscher Fußballvereine, beide Berliner Verbände und der Hamburg-Altonaer Fußball-Bund) als auch einzelne Vereine aus Prag, Magdeburg, Dresden, Hannover, Leipzig, Braunschweig, München, Naumburg, Breslau, Chemnitz und Mittweida – also aus dem ganzen damaligen Deutschland. Der Spielausschuss des DFB erstellte in den kommenden Jahren einheitliche Statuten und Spielregeln nach englischem Vorbild (1906 herausgegeben) und es gab einen regelmäßigen Spielbetrieb um die Deutsche Meisterschaft (ab der Saison 1902/1903) und den Kronprinzenpokal (ab der Saison 1908/1909).

Im DFB entschied man sich für die nationale und gegen die kosmopolitische Ausrichtung. Denn so erhielten sie vor den Turnern den Vorzug, um die Exerzierplätze als Spielfeld benutzen zu dürfen. Als Wehrsport wurde der Stereotyp eines Fußballers mit soldatischen Idealen aufgeladen: Kampf und Opfermut bis zur letzten Minute, Pflichttreue und Treue zur eigenen Mannschaft sowie Charakterstärke und Idealismus. An diesem Ideal hat sich bis heute wenig geändert und es ist auch der Grund, weshalb in Deutschland die Legalisierung von entlohntem Fußball noch vehementer abgelehnt und stigmatisiert wurde als in England. Vieles ist in Deutschland wie in England verlaufen, nur etwa 50 Jahre später, aber nicht in diesem Punkt: Während Fußball in England modern wurde, als er legaler Profifußball wurde und viele Menschen direkt oder indirekt durch das Fußballspiel Erwerbsmöglichkeiten fanden, wurde Fußball in Deutschland durch das Militär und das soldatische Ideal, also durch das deutsche Amateurideal, modern. Das änderte sich auch nicht, als der Profifußball etwa 50 Jahre nach der Legalisierung in England auch in Deutschland legalisiert wurde. Das ist vielleicht ein Grund, weshalb in Deutschland das Begriffspaar moderner Fußball mittlerweile stark negativ konnotiert ist und die 50+1-Regelung nicht schon längst über den Haufen geworfen wurde. Es ist aber vielleicht auch der Grund dafür, dass häufig und des Geldes wegen wechselnde Spieler als Söldner(!) beschimpft werden, weil sie nicht bis zu ihrem letzten Atemzug ihrer Mannschaft treu blieben – bewusst sehr pathetisch formuliert.

Währenddessen stieg die Mitgliederzahl des DFB rapide an und versiebzehnfachte sich zwischen 1904 und 1913.

Wie schon gesagt, Goßlers Idee ging also auf, Fußball wurde Wehrsport. Schon vor 1910 spielte die Marine ihre eigene Fußballmeisterschaft aus, ab 1911 auch das Landesheer. Der DFB wurde wie der ZA Mitglied in staatlichen, militärisch geprägten Jugendorganisationen wie dem 1911 gegründeten Jungdeutschland.

Als Wehrsport musste sich Fußball nun aber endgültig von dem Vorwurf des undeutschen Sportes lösen und Sprachbarrieren  beseitigen. Daher gab es ab den 1890er Jahren immer wieder Artikel in Zeitungen, Pamphlete und auch Bücher, die die englischen Begriffe eindeutschten.

Moderner Fußball: Die Fußballbegeisterung wird Teil der deutschen Gesellschaft

Viele deutsche Soldaten lernten das Fußballspiel erst als Wehrsport während des ersten Weltkrieges kennen; liebten und lebten ihn. Die Spiele dienten hier, in dem reinen Stellungskrieg, vor allem zur psychischen Stabilisierung von Truppeneinheiten und zur Hebung deren Stimmung, fand aber auch durch seinen klassennivellierenden Charakter allgemeine Beliebtheit bei den nichtadeligen Milieus. Diese Begeisterung endete nicht mit dem Kriegsende – im Gegenteil. Manche spielten Fußball fortan in Vereinen und viele weitere wurden begeisterte Zuschauer. 1920 hatte der DFB die 500.000er Marke seiner Mitglieder geknackt. Jetzt begann der Fußball, auch in Deutschland ein Massenphänomen zu werden.

In dieser Zeit, in der Weimarer Republik, nahm Fußball eine Mittlerrolle zwischen der deutschen Bevölkerung und der Reichswehr ein. Dabei war die Grenze zwischen zivilem und Militärsport fließend. Das Wort Kampf wurde in den 1920er Jahren zu einem Schlüsselbegriff: Kampfspiele, Kampfbahn, Kampfgemeinschaft, usw. Der Fußball diente als vormilitärisches Feld, um trotz dem Verbot einer Armee, die kommende Generation an die Tugenden der Soldaten heranzuführen. Außerdem tarnten sich viele paramilitärische Vereinigungen als Sportclubs wie die Box- und Sportabteilung der NSDAP. Diese wurde aber schon verhältnismäßig früh, nämlich im November 1921, von Hitler in Sturmabteilung, SA, umbenannt.

Waren Sportarten wie Fußball nach Ende des ersten Weltkrieges ein gutes Ventil, um die psychische Belastung der Kriegsjahre zu kompensieren, bargen sie damit aber in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Gewaltpotenzial. Viele, die das Fußballspiel während des Krieges kennengelernt hatten, spielten einen derart unfairen Fußball oder benahmen sich als Zuschauer mit Platzstürmen und Gewaltandrohungen gegen Schiedsrichter und Gegner so rüde, dass Fußball zu Beginn der 1920er Jahre nicht nur breite Beliebtheit erfuhr, sondern gleichzeitig einen sehr schlechten Ruf erlangte. Der sehr angesehene Schiedsrichter Peter Joseph „Peco“ Bauwens legte 1925 wegen des Verhaltens der Spieler und Zuschauer in der Halbzeit des Spieles 1. FC Nürnberg gegen MTK Budapest schlicht sein Amt nieder.

Zu der Problematik von Fußball in der Weimarer Republik und Bauwens vgl. Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999. S. 306-339.

Dabei entwickelte sich der Fußball durch die zahlreichen Zuschauer zu einem veritablen Wirtschaftsgut. Diesen verlorenen Respekt versuchte der DFB abermals durch die Verknüpfung mit dem soldatischen Ehrbegriff wiederherzustellen – erfolgreich.

Die ersten Radioübertragungen

Unterstützung erfuhr der Fußball in Deutschland wie in England durch Journalismus, Getränke- und Bauindustrie, Wettbüros, Fotografie und Sportartikelhersteller. Auch Zigarren- und Zigarettenfabriken sowie Schnapsbrennereien profitierten von dem Sport, denn es war auf den Zuschauerrängen üblich, sich zwischendurch mit einem Schluck aus dem Flachmann oder einer Zigarre zu stärken. Neu und in diesem Fall ganz elementar war für Sportinteressierte das moderne Medium Radio, dessen Verkaufszahlen sich zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen. Es war für Sport und Medium eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC (Ende 1925)? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, um 1928 stark zurückzurudern: Um nicht die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Endspiel sowie drei Länderspiele vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem solche Spiele, bei denen eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten war.

Der DFB war kein Einzelfall. U.a. auch England und Schweden ließen die Übertragungen teils verbieten (Schweden) oder diskutierten über ein generelles Verbot (England).

Moderner Fußball: Profifußball wird (zum ersten Mal) legal

Mitte der 1920er Jahre kam es in Deutschland zu den ersten ernsten Anläufen, dass Fußballspieler ein bezahlter Beruf wird. Denn durch den Dawes-Plan (1925) und seine Unterstützungen begannen viele Städte, neue Stadien zu errichten, um mit Hilfe der Fußballbegeisterung die städtischen Kassen zu füllen. Um die Hypotheken schneller zurückzuzahlen und das Stadion auszulasten, musste man attraktive Spiele bieten und daher Fußballergrößen in die Vereine der Stadt locken. Außerdem war ab 1925 die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen wieder möglich. Der Ehrgeiz , eine besonders schlagkräftige Mannschaft nominieren zu können, war deshalb groß. Unter der Hand gezahlte Zuwendungen waren längst die Regel.

Der DFB blieb bei seinem soldatischen Ideal des Fußballers, den der ehrenvolle Verdienst leitete, nicht der finanzielle . Bei Zuwiderhandlung drohte die Disqualifikation aus Meisterschaft und Pokalwettbewerb. Dabei war der Wunsch vieler Vereine, wettbewerbsfähig zu anderen Ländern zu sein. Bereits 1925 hatte der DFB eine Satzungsänderung verabschiedet, die es deutschen Vereinen stark erschwerte, gegen ausländische Profimannschaften zu spielen. (Der Boykott wurde erst 1930 auf Druck der FIFA aufgehoben.)

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb weiterhin bei seinen Prinzipien. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten also nicht unter Tage arbeiten, erhielten dafür aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es noch 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbandes innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein. Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen. Aber der Profifußball wurde noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine blieb und zwei Jahre später fürchtete der DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass er wie ca. 50 Jahre zuvor Alcock in England den Fußballsport legalisiert, um ihn dann besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht. Daran hatten nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB wurde 1933 mit der Leitung des Fachamts Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte direkt die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs rückgängig.

Moderner Fußball: Profifußball wird (wieder) legal

1950, noch vor der Neugründung des DFB, beschloss die Delegiertenversammlung der Landesverbände, ein Vertragsspielerstatut zur Legalisierung des bezahlten Fußballs. Ein Spieler, der noch einem weiteren Beruf nachging, durfte dennoch nicht mehr als 320 DM monatlich erhalten, d.h. nicht mehr als den Lohn eines Facharbeiters. Aus dem Jahresgehalt errechnete sich die Ablösesumme. Zur der gehörte auch immer ein Gastspiel des neuen Vereines.

1954 wurde Deutschland überraschend Weltmeister. In den Folgejahren nahm die Bedeutung der Nationalmannschaft wegen fehlender Erfolge jedoch spürbar ab. Viele Spieler wechselten zu Vereinen ins Ausland, wo der Profifußball längst etabliert war und sie höhere Gehälter erhielten. Beispielsweise nach Italien, wo Helmut Haller (1962-1968 FC Bologna, 1968-1973 Juventus Turin), Karl-Heinz Schnellinger (1963-1964 AC Mantua, 1964-1965 AS Rom, 1965-1976 AC Mailand) oder auch Horst Szymaniak (1961-1963 CC Catania, 1963-1964 Inter Mailand, 1964-1965 FC Varese) spielten. Um dem Trend entgegenzuwirken, beschloss der DFB auf seinem Bundestag 1962 die Einführung einer Berufsspielerliga, der Bundesliga. Neben Amateurspielern und Vertragsspielern gab es nun auch Lizenzspieler, die ein dreimal so hohes Gehalt wie Vertragsspieler erhalten und einen Teil der Transfersumme kassieren konnte. Aber die Bestimmungen waren in den 1960er Jahren noch recht restriktiv, weshalb in der ersten Bundesligasaison nur 34 Spieler Fußball als Vollzeitberuf ausgeübt haben sollen. Sie brauchten einen guten Leumund, durften aber ihren Namen nicht für Werbezwecke zur Verfügung stellen und so weiteren Lohn erhalten und die Gesamtbezüge aus Lohn, Handgeld, Prämien und Ablösesummen durften nicht 1200 DM monatlich übersteigen.

Für den DFB lohnte sich die Einführung der Bundesliga: Die Nationalmannschaft hatte wieder Erfolg und da in den 1960er Jahren schon viele Haushalte über einen Fernseher verfügten, konnte sich der DFB durch Fernsehübertragungsgebühren, Werbeeinnahmen und Sponsorengelder finanzieren.

Für die Vertrags- und auch Lizenzspieler war das Fußballspiel innerhalb der vom DFB gesetzten Grenzen nicht rentabel und so verwundert es nicht, dass es in der Saison 1970/71 zu einem so großen Bestechungsskandal kam und der DFB abermals zum Umdenken gezwungen wurde. 1972 wurde der Markt geöffnet – seitdem steigen die Einkommen der Fußballprofis kontinuierlich. Die Liberalisierung der elektronischen Medien und das Bosmanurteil vom Dezember 1995 haben diesen Effekt noch einmal deutlich verstärkt.

Fazit: Moderner Fußball durch Eventisierung und Taktik

Doch wann hielt der moderne Fußball nun tatsächlich Einzug in Deutschland? Je nach Betrachtungsweise gibt es dafür drei Möglichkeiten:

  1. Macht man den modernen Fußball an der allgemeinen, nationalen Begeisterung fest, so war es der erste Weltkrieg.
  2. Verbindet man den modernen Fußball mit Profifußball und seinen Folgen, so waren es die 1960er und 1970er Jahren, da die erste Legalisierung 1932 nur wenige Monate Bestand hatte.
  3. Nimmt man den Begriff “moderner Fußball” dagegen als Ausgangspunkt, liegt der Beginn in den 1980er Jahren. Bis 1976 existierte dieser Begriff in der deutschsprachigen Literatur noch gar nicht. Seitdem gab es ein kurzes kleineres Maximum von 1987 bis 1988, das ab 2002 wieder erreicht wurde und mindestens bis 2008 übertroffen wurde.

Lag die erste Häufung des Begriffs Ende der 1980er Jahre an dem Wechsel von Trainer Arrigo Sacchi zum AC Milan und seiner dort etablierten Spielidee? Wurde dieses Ereignis in der deutschsprachigen Literatur tatsächlich so gewürdigt? Oder hat es eine andere Ursache? Darauf habe ich leider keine Antwort.

 

Vom Gentlemen- zum Arbeitersport: England und der moderne Fußball

„Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. Synonyme sind Adjektive wie aktuell, neu(artig), zeitgemäß und meinen damit auch fortschrittlich und etwas, das gerade eben („modo“) beliebt geworden ist. Ähnlich definiert es auch der Duden. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Allerdings geht es hier wirklich nur um die Anfänge des Fußballs, d.h. um etwa die Phase 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland.

Dieser erste von zwei Teilen befasst sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England.

Dieser Beitrag erschien erstmals 2019 auf 120minuten.net

Eigentlich. An der Uni habe ich gelernt, dass man möglichst nicht das Wort eigentlich benutzt, weil es eine Aussage so stark abmildert, dass diese ihren Sinn verliert. Aber wir sind hier ja nicht an der Uni. Also, eigentlich war Fußball in England ja schon vor 1820 beliebt. Football, das Fortbewegen eines runden Gegenstandes mit den Füßen, wurde zwischen nahegelegenen Siedlungen gespielt. Allerdings erinnern die Beschreibungen an ein sehr kampfbetontes Rugbyspiel, denn das Transportieren der Kugel mit den Händen war ebenso erlaubt wie gewaltfrohes Einsteigen als Tackling. Sei es mit Füßen und Händen oder mit anderen Mitteln wie Stöcken. Spielen durfte jeder; eine Einteilung in Spieler und Zuschauer gab es nicht. Zwar gab es einzelne Regeln, die jedoch nicht so regulierend in das Spiel eingriffen wie in die heutigen Varianten des Fußballspiels. Darüber hinaus gab es schon während der Frühneuzeit Bemühungen, die Fußballspiele zu regulieren und damit zu kontrollieren (Richard Mulcaster, 1561: Man brauche einen „training master“ und eine Person, die „jugde over the parties and hath authroritie to commaunce“ ), aber sie waren erfolglos.

Nimmt man diese Formen des Fußballspiels als alte, archaische Varianten an, so muss man die regulierten Fußballspiele an englischen Privatschulen zwangsläufig als den modernen Fußball bezeichnen, und zwar als Fußballspiele, die bestimmten Regeln unterworfen waren mit dem Ziel, die aus der Oberschicht (hierunter zähle ich „aristocracy“ und „gentry“) und gutverdienenden Mittelschicht stammenden Privatschüler zu Gentlemen zu machen.

Doch sie waren nur die Basis für das Entstehen eines Massenphänomens, das von Gentlemen in Gang gesetzt wurde. Als vermehrt Arbeiter Fußballspieler wurden, wandten sich die bisherigen Fußballliebhaber entweder vom Fußballsport ab oder unterstützten ihn als wirtschaftliche Gönner. Da die Arbeiter den Sport nicht als reine Muße ausübten, sondern ihn gerne als Nebenverdienst nutzten (dazu später mehr), wurde die Bemühung um einen entlohnten Fußballsport immer größer, denn die Bezahlung der Arbeiter, Bergarbeiter wie Fabrikarbeiter war so gering, dass die Familien mindestens am Existenzminimum, wenn nicht darunter leben mussten.
Ein weiterer Aspekt des modernen Fußballs in England entstand durch die Veränderung der Abseitsregel; der Möglichkeit nämlich, zu kombinieren und mit taktischen Finessen den Gegner auszuspielen. Das war vorher im von „long ball“ und „dribbling game“ geprägten Fußballspiel im 1-2-7-System mit sehr restriktiver Abseitsregel nicht möglich.

Fußballregelwerke und Fußballverbände schaffen die Basis

Thomas Arnold ist in aller Munde, wenn es um die Anfänge der Fußballregeln in England geht, aber das erste Fußballspiel an einer englischen Privatschule wurde 1815 in Eton gespielt, in Thomas Arnolds Schule in Rugby ab 1823. Etwa zur gleichen Zeit wie in Rugby wurde das Spiel an der Aldenham School (Elstree) eingeführt (spätestens 1825) und in den 1830er Jahren im Londoner Stadtteil Harrow sowie in Winchester und in Shrewsbury. Die Idee von Thomas Arnold war nicht so einmalig, wie sie mitunter dargestellt wird. Waren die verschiedenen Fußballregeln teils sehr unterschiedlich (Handspiel, Anzahl der Spieler, Kampfbetontheit, Größe des Spielfeldes, Aussehen des Tores, etc.), hatten die frühen (Schüler-)Fußballmannschaften doch Gemeinsamkeiten: Die Schüler sollten auf diese Weise spielerisch Gentleman-Ideale lernen: Ehrlichkeit, Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein, Selbstorganisation; kurz gesagt: Fairplay. So hatten die Teams keinen Trainer oder Manager – die Mannschaft organisierte sich selbst, Lehrer reagierten nur auf Anrufung der Schüler.

Leider sind die Regeln aus diesen Jahren sind nicht überliefert. Die älteste, überlieferte Regel ist das Regelwerk der Universität von Cambridge von 1856, die acht Jahre nach dem ursprünglichen Regelwerk erstellt wurde. Denn an der Cambridger Universität trafen sich fußballliebende, ehemalige Privatschüler, die aus den ihnen bekannten Regelwerken ein neues generierten, die Cambridge Rules. In anderen englischen Universitäten wird ähnliches passiert sein, überliefert ist das aber nicht. Was man weiß, ist, dass zeitgleich innerhalb der Städte Sportclubs der Oberschichten entstanden, die neben Reitsport und Jagd auch an den Fußballformen (Assoziations-)Fußball und Rugby sowie Cricket Freude fanden.

Jeder Club hatte wiederum seine eigenen Regeln. Damit sich die Clubs vor Spielen gegen andere Clubs der Stadt nicht immer einigen mussten, welche Regeln befolgt wurden und welche verboten waren, entstanden Verbände (football associations) in den einzelnen Städten, so 1858 zunächst in Sheffield und 1863 in London. Diese Verbände gingen in den folgenden Jahren ineinander auf, sodass 1877 nur noch die Sheffield FA und London FA verblieben und sich in diesem Jahr zu einer nationalen FA vereinten. Dabei wurde das Regelwerk der London FA übernommen. Zwar wurden in anderen Regionen Englands noch weitere Verbände gegründet – 1875 in Birmingham, 1878 in Lancashire, 1882 in Norfolk, Oxfordshire, Essex und Sussex, 1883 in Berkshire, Buckingham, Walsall, Kent, Nottinghamshire, Middlesex, Liverpool, Cheshire, Staffordshire, Derbyshire und Scarborough -, aber diese traten kurz Zeit nach ihrer Gründung der 1877 geeinten FA bei. Bereits 1871 hatte sich die Rugby Union gegründet. Damit war die Trennung in rugger und soccer (a_socc_iation) endgültig.

Aber nicht nur die einzelnen Stadtverbände, später dann die nationale FA, sorgten für die zunehmende Begeisterung für den Fußballsport und den Zusammenhalt der Clubs, sondern auch der FA-Cup, der ab der Saison 1871/72 durch die London FA ausgetragen wurde. In der ersten Saison nahmen 13 Clubs aus diesem Verband teil, nämlich acht Clubs aus London und fünf aus der Umgebung. Außerdem wurde der Glasgower Club Queen’s Park eingeladen. Die Idee für diesen Wettbewerb hatte Charles William Alcock, der Verbandssekretär der London FA und Mittelstürmer der Wanderers FC, früher Schüler an der Privatschule in Harrow. Den Harrower Wettbewerb mit K.o.-System übernahm er für den FA Cup, dessen ersten Wettbewerb er mit seiner Mannschaft (vorwiegend ehemalige Schüler aus Harrow) auch gewann. Alcocks Ziel mit der Einführung dieses Pokalwettbewerbs war, inoffiziell gezahlte Spielergehälter zu unterbinden, indem für den Sieger ein hoch dotierter Pokal in Aussicht gestellt wurde. Alcock dachte – als Gentleman -, dass der Anreiz des Pokalgewinns das Ehrgefühl der Spieler anspricht und diese sich deswegen fair, also unter gleichen, unbezahlten Umständen, messen würden. Doch dieser Versuch scheiterte nicht nur, er wandte sich in das Gegenteil um, da der Reiz des Wettbewerbs die Ideale des Amateurfußballs umging. Die Teilnahme am (London) FA Cup wurde in den kommenden Jahren beliebter, die Rivalität nahm zu, genau wie der Ehrgeiz, die Spannung und der Wetteifer und damit die Anwerbung von sehr guten Fußballspielern, um den Lokalrivalen im kommenden Spiel besiegen zu können. Außerdem lockten die Spiele durchgehend eine drei- bis vierstellige Anzahl an Zuschauern an, so auch viele Arbeiter, die auf diesem Wege leicht mit unbekannten, gleichgesinnten Menschen in Kontakt kamen – und die Kassen der Clubbesitzer füllten.

Der entlohnte Fußball in England

1850 wurde eine Erweiterung der Factory Acts, der Compromise Act, verabschiedet, der unter anderem den Feierabend um 14 Uhr an Samstagen einführte. So hatten auch Fabrikarbeiter/innen Freizeit. Fußball war eine Sportart, die verhältnismäßig wenig Geld kostete und manche Fabrikinhaber unterstützten die sportliche Freizeitgestaltung ihrer Arbeiter (fußballspielende Spielerinnen sind mir aus dieser Zeit nicht bekannt), stellten die Ausrüstung und bezahlten auch manchmal die Reisen zu Auswärtsspielen. Eine Win-Win-Situation, denn so waren die Inhaber sicher, dass ihre Arbeiter ihre Freizeit nicht bei übermäßigem Alkoholgenuss faulenzend verbrachten und die fußballbegeisterten Arbeiter hatten eine Alternative – auch für Bergarbeiter und ihre physisch und psychisch anstrengende Arbeit unter Tage. Es gab auch viele damalige Werksvereine, von denen manche heute noch existieren, beispielsweise die Munitionsfabrik Dial Square (Arsenal FC), die Thames Iron Works (West Ham) oder die Newton Heath LYR Company (Manchester United).

Auch Pubbesitzer trugen zur Kommerzialisierung des Fußballs bei. Sie nutzten das Interesse ihrer Besucher an Wettspielen und den Ergebnissen des lokalen Clubs. Daher boten sie einen Resultatservice für diejenigen an, die die jeweiligen Spiele nicht besuchen konnten. Via Telegrafen wurden die Ergebnisse durchgegeben und per Zettel an die Wand geheftet. Das Veröffentlichen der Ergebnisse weckte auch die Neugier von bisher nicht an Fußball interessierten Pubbesuchern und steigerte so nochmals das Interesse an der Sportart.

Anders als den Menschen aus der Oberschicht diente Fußball den Arbeitern nicht als gesunder Lebensstil und um Fairplay zu lernen, denn aus ihnen konnten keine Gentlemen werden. Er diente ihnen zur Geselligkeit und als Herausforderung. So veränderte sich die soziale Basis des Fußballsports – von den aus Ober- und Mittelschichten stammenden ehemaligen Privatschülern hin zu Arbeitern, von einem reinen Spiel hin zu einer entlohnten Tätigkeit. Abgesehen vom gesunden Lebensstil wollten viele ihren Einsatz während ihrer schon spärlichen Freizeit nämlich entlohnt haben. Und Clubbesitzer, häufig mit Blick auf das Steigern des eigenen Ansehens, entgolten gute Fußballspieler auch. Das steigerte bei vielen Aktiven die Ambitionen. Dieser wurde zusätzlich durch die Aussicht geschürt, dass man im Fall des Sieges zum lokalen Helden avancierte – eine soziale Anerkennung, die den Arbeitern sonst nicht zuteil werden konnte. Die sprichwörtliche englische Härte war Spiegelbild der sozialen Herkunft der Fußballspieler aus der Arbeiterschicht.

Zwar war eine finanzielle Entlohnung der Fußballer offiziell verboten, aber Clubs umgingen diese Regelung und boten entweder eine Bezahlung in Naturalien und Mobilien an oder eine anspruchslose Tätigkeit bei gleichem Lohn in der Fabrik oder zahlten auch Lohn pro Spiel. Bereits seit den 1850er Jahren gibt es in England den Begriff professional, also kurz nach dem Compromise Act. Den Begriff „amateur“ gibt es in England aber erst seit den 1880er Jahren; er wurde von Gentlemen benutzt, um sich von dem bezahlten Fußballsport, dem von ihnen so genannt „shamateurism“, abzuheben. Bei manchen Gentlemen existierte eine regelrechte Endzeitstimmung durch die “americanisation”, die angeblich zu Verdummung und Verrohung der Großstadtmenschen führte. Oder man stigmatisierte den bezahlten Fußball als Krebs, der den Sport von innen zerstöre. Die Gentlemen in den FAs versuchten, die unter der Hand erfolgten Entlohnungen durch Disqualifikationen und Sperren der Spieler und Clubs zu stigmatisieren. Aber alles Moralisieren hielt nicht den Lauf der Dinge auf.

Die Grenze zwischen Pro-Profifußball und Pro-Amateurfußball war keine Grenze zwischen dem Süden (Amateure) und dem Norden (Profis), wie es bei Lowerson und Koller zu lesen ist. Es war auch keine Grenze zwischen den Reicheren (Ober- und Mittelschichten) und der Arbeiterschicht. Die Trennung ging durch die Mittelschicht und damit auch durch Vereinsgremien und Fußballspieler; nämlich zwischen jenen aus der Mittelschicht, die sich den Gentleman-Idealen verpflichteten, und denen, die in die Einnahmequellen des entstehenden Massensportes investierten, zum Beispiel als Buchmacher, Bau- und Transportunternehmer, Getränkehersteller oder Manager der Sportartikelindustrie. Tendenziell stimmt aber die Trennung in Nord und Süd schon, wenn auch nicht so rigide. Denn in dem im Nordosten Englands liegenden Lancashire war das mehr oder minder verdeckte Zahlen von Löhnen weit verbreitet. Dabei waren es nicht nur englische Arbeiter, die für ihr Fußballspiel entlohnt wurden, sondern vor allem schottische Fußballspieler, die bewusst ihre Heimat verließen, um in England bezahlte Fußballer zu werden, wissentlich, dass in England der Profifußball verboten war (in Schottland wurde der Profifußball später als in England erlaubt). Sie fanden aber auch schnell Anstellung, da ihre spielerische Finesse bekannt war. So kam es, dass immer mehr schottische Fußballspieler zufällig (wer’s glaubt…) in England bleiben mussten, weil sie den Zug nach Hause verpasst hatten… Charles Edward Sutcliffe, J. A. Brierley und F. Howarth, die zum 50jährigen Jubiläum der Football League mit “The Story of the Football League 1888-1938” einen Rückblick veröffentlichten, fassten diese Phase in ihrer Einleitung wie folgt zusammen:

„The first real development follows the appearance in Lancashire – often under mysterious circumstances – of Scottish players who had strayed over the Border or been surreptitiously spirited across, and by others who had conveniently ‚missed the train back‘ home after coming down with Scottish clubs to visit English clubs. The precise reasons which gave rise to this invasion do not matter a great deal to-day. What it is important to remember is that these were the days of amateurism, and that the influx of so many Scotsmen under suspicious circumstances led to a crisis which had far-reaching consequences.“

Diese weitreichende Konsequenz hieß Football League. Denn nachdem Preston North End 1884 aus dem FA Cup ausgeschlossen wurde, weil ihre Entlohnung und Anwerbung von Spielern öffentlich wurde, protestierten 40 Clubs wie Lancashire, Aston Villa, Walsall Swifts und Sunderland und kündigten an, aus der mittlerweile nationalen FA auszutreten und eine British Football Association zu gründen, in der das professionelle Fußballspiel erlaubt war.

Zuvor erkannte Verbandssekretär Alcock, dass die Entwicklung zum Profifußball nicht mehr aufzuhalten war und versuchte, ihn durch Legalisierung zu kontrollieren. Im Juli 1885 wurde der professionelle Fußball erlaubt, wenn auch zunächst mit einer Gehaltsobergrenze und weiteren Bedingungen: Die Spieler mussten bei der FA registriert sein, in einem Radius von sechs Meilen von Spielort entweder geboren worden sein oder dort seit mindestens zwei Jahre leben und durften während einer Saison nicht bei mehr als einem Verein spielen – außer durch eine Sondergenehmigung der FA. Ihren Meinungswandel begründete die FA, in dem sie die Fußerballerlöhne als irrelevante Vergütung (“irrelevant consideration”) bezeichnete, d.h. Fußballwettspiele quasi aus der Realität ausklammerten. Wettspiele seien Teil einer durch die Regeln der Unerheblichkeit (“rules of irrelevance”) abgeschirmten Spielsphäre und daher könnte Amateurfußball neben Profifußball existieren. Viele Gentlemen aber wandten sich mit der Legalisierung des Profifußballs von dieser Sportart ab.

1888 folgte dann die Gründung der englischen Profiliga, der Football League (FL), die zunächst aus vorwiegend nordenglischen Clubs bestand. Die FL war von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Die erste Saison mit 22 Spielen besuchten insgesamt rund 602.000 Zuschauer (ca. 2488 Zuschauer pro Spiel), zehn Jahre später waren es schon über fünf Millionen (ca. 8651 Zuschauer pro Spiel). 1892 wurde die Second Division der FL gegründet, in der sich Clubs messen konnten, die nicht so erfolgreich wie die FL-Clubs waren. Das gesteigerte Interesse am Fußball lag auch an der Routine, die mit den Ligaspielen einherging, denn sie steigerte Qualität – und auch die Ausgaben für immer bessere Spieler. Zum Beispiel erwarb Middlesborough Ironopolis 1893 innerhalb von drei Tagen eine völlig neue Mannschaft, um den verhassten Konkurrenten aus Huddersfield und Preston endlich ebenbürtig zu sein. Alcocks Ziel, die Kontrolle des Profifußballs, war gescheitert.

Nicht wenige Proficlubs gingen an die Börse. Die meisten hatten nicht das Ziel, reich zu werden, sondern versuchten, mit dieser Methode den Bankrott ihres Vereines zu verhindern – nicht immer erfolgreich. Im Fall von Newton Heath LYR FC, Mitglied der Second Division der FL, die wegen 2670 Pfund (heute gut 308.000 Euro) ) Schulden Insolvenz anmelden mussten, ging es glimpflich aus. Lokale Unternehmer investierten insgesamt 2000 Pfund in den neuen Club Manchester United FC, der schnell wieder in die First Division der FL aufstieg und zu einem deren führenden Clubs wurde.

1890 setzte die FA ein Gehaltsmaximum von zehn Pfund pro Monat fest (entspricht etwa 500 heutigen Pfund), aber schon drei Jahre später wurden Starspieler in der Regel mit 50 bis 75 Pfund/Monat bezahlt. Diese waren aber in der starken Minderheit, denn das durchschnittliche Gehalt von Profifußballern belief sich in diesem Jahr auf drei Pfund/Monat im Winter (d.h. während der FL-Saison) und zwei Pfund/Monat im Sommer (außerhalb der FL-Saison). Dazu kamen Siegerboni von maximal zwei Pfund je gewonnenem Spiel. Die Gehälter waren in der Regel nicht verhandelbar und orientierten sich am Erfolg des Spielers. Nur Starspieler hatten Mitspracherecht.
Paul Brown gibt an, dass der durchschnittliche Fußballspieler bis 1890 das Vierfache eines allgemeinen Arbeiters (nicht Facharbeiter) verdiente, Ende des 1890er Jahre bereits das Zehnfache. 1900 setzte die FA gegen Protest ein Gehaltsmaximum von vier Pfund/Monat fest, das bis 1961 gültig blieb, aber schon vom ersten Jahr an durch großzügiges Schwarzgeldzahlungen und Geschenke umgangen wurde.

Ab 1893 bedurfte es für den Wechsel zu einer anderen Mannschaft der Einwilligung des aktuellen Clubs. Auf der anderen Seite konnte jeder Verein jedes Jahr seine Spieler auf die im Sommer vom League Management Committee veröffentliche Transferliste setzen, denn es gab in der Regel nur Jahresverträge. Die Spieler hatten beim Wechsel keinerlei Protestmöglichkeit, weshalb schon zeitgenössische Berichte die Praxis mit einem Viehmarkt verglichen. Auch die FA kritisierte das System deutlich als unfair, aber nicht wegen der Bevormundung der Clubs, sondern weil sich eingebürgert hatte, dass kleinere Clubs junge Spieler entdeckten und sie dann an vermögendere Vereine für möglichst viel Geld verkauften. Was heute als wirtschaftlich kluge Transferpolitik bezeichnet wird, war für die FA damals offenbar Wettbewerbsverzerrung.
Das Transfersystem veranlasste einige führende FL-Spieler zur Gründung der Association Footballs‘ Union (AFU), einer Fußballergewerkschaft, die jedoch keinen Einfluss nehmen konnte und sehr schnell nicht mehr existierte. 1907 konstituierte sich dann in Manchester die bis heute existierende Professional Footballer’s Association (PFA), die vor allem aus Spielern von Manchester United bestand und die die Beseitigung von Gehaltsobergrenzen und die freie Wahl des Arbeitsplatzes forderte.

Der teuerste Wechsel im englischen Profifußball vor dem ersten Weltkrieg waren übrigens die Transfers von Alf Common 1905 von Sunderland zu Middlesbrough für 1000 Pfund, die nach Paul Brown etwa 110.000 heutige Pfund entsprechen.

Unterstützende Gründe für den Aufstieg des Fußballs zum Massenphänomen

Was unterstützte die steigende Beliebtheit von Fußball in England sonst noch? Die meisten von ihnen wurden schon genannt. Zum einen die Pubs, aber es war auch das Eisenbahnnetz, der Journalismus und die Fotografie. Letztere ermöglichte, all denen einen Eindruck vom Spiel zu vermitteln, die es nicht besuchen konnten und diente außerdem dazu, Berichte in den allgemeinen und speziellen Sportzeitungen zu illustrieren. Sportzeitungen entstanden als Weiterentwicklung des Resultatservice in Pubs. Die Journalisten unterstützten dabei häufig das Amateurideal, um die Berufsethik aufzuwerten. Die Presse wurde in den oberen Schichten mit Indiskretion und Korruption in Verbindung gebracht. Die (Sport-)Journalisten versuchten so, sich öffentlichkeitswirksam als Gentlemen zu präsentieren, wenngleich sie nie den sozialen Status eines solchen erlangen konnten. Und die Eisenbahn erweiterte den Einzugsbereich für die Zuschauer von Sportveranstaltungen und verhalf so auch zu einer Steigerung des Zuschaueraufkommens. Bereits vor der Legalisierung des Profifußballs waren Sonderzüge zu Spielen außerhalb der eigenen Stadt üblich. Mit der Legalisierung des Profifußballs wurden sie dringend erforderlich. Auch das Straßenbahnnetz innerhalb der Städte wurde verbessert, um die Erreichbarkeit der Stadien für die Zuschauerströme zu erleichtern und zu beschleunigen.

Die Wiege der Taktik – Das Kombinationsspiel

Bis in die 1870er Jahre war die übliche Spielweise ein Mix aus „long ball“ und „dribbling game“, also aus dem ziellosen, weiten Vollspannstoß nach vorne (in Kontinentaleuropa „Kick and Rush“ genannt) und dem individuellen Spiel unter Mitführen des Balles. Das frühe Fußballspiel war also ein schnelles Spiel, bei dem das individuelle spielerische Können ausschlaggebend war – und es zu vielen Kontern kam, wenn der Schuss nach vorne oder das Dribbling von den Gegenspielern unterbunden wurden.
‚Ein schnelles Spiel durch die long-ball-Variante?‘, mag sich mancher von euch fragen. ‚In der Zeit ist doch auch ein schnelles Kurzpassspiel möglich und meistens auch erfolgreicher als der weite Ball nach vorne.‘ Und genau da ist auch der Knackpunkt: Nur wenige Mannschaften spielten ein Kurzpassspiel und wurden dafür bewundert, die „science of the football“ zu beherrschen.

Im Rugbyfußball war „scientific football“ schon seit den 1850er Jahren ein Buzzword; im Assoziationsfußball dauerte es ein gutes Jahrzehnt länger. Dass das „combination game“ im Assoziationsfußball Ende der 1860er Jahre aufkam, war kein Zufall, da 1866 (London FA) bzw. 1858 (Sheffield FA) die Abseitsregelung gelockert wurde. War vorher jeder im Abseits, der zwischen Ball und gegnerischem Tor stand, wurde nun die 3-Mann-Regel (London) bzw. 2-Mann-Regel (Sheffield) eingeführt. Nun brauchte man nicht mehr den Ball nur nach vorne zu treiben, sondern konnte eine Position auf dem Spielfeld einnehmen.

Der Begriff „combination game“ wurde erstmal von dem hier schon häufig genannten Charles William Alcock 1874 benutzt: „Nothing succeeds better that what I may call a ‚combination game‘“, äußerte er beim Anblick eines Spiel der Fußballmannschaft der Royal Engineers. Viele Sportberichte übernahmen aber zunächst nicht diesen Begriff, sondern versuchten, mit eigenen Worten die Spielweise der Royal Engineers, Shropshire Wanderer, Cambridge University AFC, Derby School, von Nottingham Forest, des Trent Colleges, von Queen’s Park und Mannschaften aus der Sheffield FA zu erklären. Dabei glich sich das combination game der verschiedenen Mannschaften nicht ganz. Der Sheffield style wurde als „passing on“ (direkte Weitergabe des Fußballs) bezeichnet, der Spielstil der Royal Engineers als „backing“ (Angriffsspiel mit Absicherung gegen Konter) und der Queen’s Park-Style als „Scottish style“ bzw. „Scotch style“. Aber alle Spielstile hatten das neuartige Passspiel zwischen mehreren Spielern gemein – Kurzpassspiel statt long ball und individuelles Ballmitführen.

In der zeitgenössischen Spielberichterstattung umschrieb man diese Spielweise in Sheffield und die der Royal Engineers als schnelle („quick piece of play“,„scientific movements“, „scientific play“) und kluge („attracted especial[!] attention by their clever play“, “tactical passing”) Spielweise mit akkuratem Zuspiel („remarkeably neat“, “turned the ball”) und Zusammenspiel (“these three play in concert”, „played beautiful together”, “worked well together”), mit Absicherung (“backed up each other”, “has learned the secrets of football success – backing up”) und wenigen Dribblings (“very little dribbling was displayed”).

Die Spielstile dieser Mannschaften waren aber noch wesentlich statischer als das heutige Kombinationsspiel, denn es beinhaltete kein systematisches, einer bestimmten Taktik folgendes Spiel. Auch blieb das Spielsystem beim 1-2-7.

Das Kombinationsspiel entwickelte zunächst Queen’s Park noch in den 1870er Jahren und ein paar Jahre später entwickelte Cambridge University AFC die schottische Spielart zum heute üblichen Kombinationsspiel weiter, in dem jeder Spieler einem Bereich auf dem Spielfeld zugeteilt ist und nach vorgegebenen Schemata mit seinen Mitspielern spielt. So entwickelten sich auch neue Spielsysteme. Queen’s Park spielte in einem 2-2-6- oder 2-2-3-3-System, Cambridge im 2-3-5-System.

Der Scottish style wurde als “most creditable” und immer wieder als “fine style” bezeichnet. Ihn kennzeichnete ein gutes Zusammenspiel (“worked well together”, “worked […] well together through knowing each other’s play”, “played excellently well together”, “working beautifully to each other’s feet”, “adepts in passing the ball”, “development of scientific passing and cohesion between halfbacks and the forwards as a counter to the traditional dribbling and individuality”) und die Fähigkeit, ein Fußballspiel aufzubauen und zu machen (“drove their opponents before them”, “profound influence in fashioning the technique of the game”). Das Cambridger Spielsystem wurde 1891 so beschrieben: “[It] illustrate[s] the full possibilities of a systematic combination giving full scope to the defense as well as the attack”.

Das kombinationsreichere Spiel von Queen’s Park wurde durch die im Vereinsregelwerk („Rules of the field“, 1867) festgeschriebene 2-Mann-Abseitsregel ermöglicht, die zudem nur 15 yards (= 13,716 Meter) vor dem gegnerischen Tor galt. Außerdem trainierte Queen’s Park das Zuspiel in Gruppen auf Kleinfeldern. Das war völlig neu – wenn es überhaupt Training gab, dann war es reines Ausdauertraining. Der Queen’s Park-Style wurde durch Spiele der Mannschaften gegen andere schottische Vereine bekannt und von diesen imitiert. So wurde aus dem Queen’s Park-Style der „Scottish style“. Beim ersten Aufeinandertreffen der englischen Fußballerauswahl auf die der Schotten im Jahr 1872 konnte das englische Team trotz seiner schnellen und dribblingstarken Spieler dem verzahnten Spiel der Schotten nur wenig entgegensetzen. Spielerisch stand dem damals üblichen 1-2-7 der Engländer die schottische Auswahl im 2-2-6-System gegenüber, was das schottische Spiel zusätzlich agiler machte.

England konnte zwischen 1872 und 1885 nur drei der alljährlichen Spiele zwischen England und Schottland gewinnen. Als England 1882 5:1 gegen den nördlichen Nachbarn verlor, änderte sich auch in England endgültig die Spielart von Fußball. Im Norden Englands hatte sich der „Scottish style“ bereits einen Namen gemacht. Wie schon im Abschnitt zur beginnenden Professionalisierung beschrieben, kamen einige schottische Fußballspieler auf „missionary visits“ nach England, blieben dort und wurden später auch von den nordenglischen Vereinen direkt angeworben. „Scottish professors“ wurden sie genannt, weil sie die „science of the game“ kannten und den englischen Vereinen lehren konnten. Nun begannen immer mehr englische Mannschaften, auf das „combination game“ umzustellen und das Passspiel zu trainieren.

Der englische Fußball revolutionierte sich also konzentriert in den 1880er Jahren durch die Legalisierung des Profifußballs nebst all seinen flankierenden Entwicklungen und durch die Übernahme des als „Scottish style“ bekannten Kombinationsfußballs. Für mich sind diese beiden Umbrüche so tiefgreifend, dass sie aus meiner Sicht die Wendepunkte zum modernen Fußball darstellen. Was in der Folgezeit passierte, waren nur die Konsequenzen aus diesen Ereignissen.

Die Quintessenz des Spieles

Am 19. Februar 1899 machte die Wiener Allgemeine Sport-Zeitung bekannt((Vgl. NN: Die Oxforder Mannschaft in Wien. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 19.02.1899. S. 192. Letzter Zugriff: 04.03.2018.)), dass der Oxford University Association Football Club zu Spielen in Prag und Wien über die Ostertage nach Österreich reiste. Einem damals sehr erfolgreichen Club der Football Association, der als Universitätsverein nun in der Liga der Fußballmannschaften von britischen Universitäten und Colleges der Midlands-Region (um Birmingham), spielt. Die Spiele gegen den Deutschen Fußballclub und Slavia (beide Prag) fanden Ende März statt, die Spiele in Wien Anfang April. Der Artikel stellt außerdem die Mannschaft des Oxford University AFC mit vorherig besuchtem College, Größe, Gewicht, Position und weiteren Sportarten, die sie betrieben, vor.

Die Spiele fanden in Wien gegen den Wiener Athletiksport-Club statt und zwar gegen eine Mannschaft mit Österreichern und Engländern (“gemischte Mannschaft”) und eine Mannschaft mit nur Österreichern (“deutsche Mannschaft”). Die “deutsche Mannschaft” bestand dabei aus drei Spielern der “gemischten” Startelf ,drei genannten Ersatzspielern und fünf weiteren, die für das Spiel der “gemischten Mannschaft” nicht berücksichtigt wurden. Um 15:30 Uhr wurde am 2. April und 3. April die Spiele im Prater (heute Ernst-Happel-Stadion) statt.((Vgl. NN: Die Oxford-Mannschaft in Wien. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 02.04.1899. S. 352. Letzter Zugriff: 04.03.2018.))

Die den Spielen nachfolgende Berichterstattung über die Spiele blühte vor Begeisterung für das englische Kombinationsspiel, das für alle Zuschauer und auch nicht englischen Spieler des Athletiksport-Clubs schier unwirklich angemutet haben.((Vgl. H., J.: Der Fussballkampf – Oxford – Wien. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 09.04.1899. S. 386. Letzter Zugriff: 04.03.2018.))

“[…] Die Oxforder glänzten durch ihre universelle Einzelausbildung, die sich harmonisch in den Rahmen der Gesammtheit fügte und ein Zusammenspiel ermöglichte, das zur Bewunderung hinreissen musste. Man stand vor etwas Neuem, Ungeahntem. Diese Balltechnik, diese feine Taktik – das Resultat wohldurchdachter und blitzschnell ausgeführter Combination – hat man auf dem Continent noch nicht geschaut; es war einfach possirlich mitanzusehen, mir welche Verblüffung die Unserigen in der Zeit von zwei Minuten drei Bälle der Oxforder in’s eigene Netz fliegen sahen, ohne diesen ernstlich Widerstand entgegensetzen zu können! […] Die Spielweise der Oxforder war schlechtweg fascinirend. Jener deutsche Professor, der im vorigen Jahre unter dem Titel ‚Fußlümmelei’ eine geharnischte Kampfbroschüre gegen das ‚brutale’ Fussballspiel losgelassen, hat sicher Oxforder Studenten nie spielen gesehen! Was er zu Gesicht bekommen, kann nur deutsche Verballhornung gewesen sein, die sich – auch bei uns – bisher darin gefallen hat, den Ball mit kräftigen Fusstritten in riesigem Bogen über die halbe Bahn zu schleudern. Derlei hat man aber hier von den Oxfordern nicht zu Gesicht bekommen, und es ward uns offenbar, dass dem ‚derben Tritt’ beim Fussballspiele nicht entfernt die Rolle zufällt, die man ihm bislang auf dem Continent beigemessen. Jeder Zeuge des Oxforder Spieles wird bekennen, dass die Aesthetik bei demselben wahrlich nicht zu kurz gekommen.

Schon die ersten Evolutionen liessen keinen Zweifel aufkommen, dass die Engländer zum Unterschiede von der gänzlich ungeregelten auf den Zufall und die Geschicklichkeit des Einzelnen basirten Spielweise der Wiener – nach einem festen, wohlüberdachten System vorgingen, in dem Alles Berechnung ist, auch nicht der kleinste Schritt dem blinden Ungefähr überlassen bleibt. Was uns die Engländer vor Allem lehren, war, dass der Ball nicht geschleudert, sondern gerollt werden muss. Das ist sozusagen die Quintessenz des Spieles. Beim Anstosse trachtet Einer in den Besitz des Balles zu gelangen. Ist dies geschehen, so nimmt das gesammte englische Feld den Ball auf’s Korn und postirt sich derart geschickt, dass man den Eindruck einer Cernirunglinie[!] [= Belagerungslinie] empfängt. Der Ball rollt gemüthlich für einige Secunden flach den Boden entlang, nicht selten durch die Beine der gegnerischen Leute, die mit ihren weitausholenden Tritten und Stössen in der Regel ihr Ziel verfehlen. Hat der rollende Ball, wie beabsichtigt, eine grössere Gruppe der Gegner angelockt, so werden diese alsbald gewahr, dass sie in die Falle gelockt worden. Denn ehe sie sich’s versehen, ist der Ball blitzschnell nach rechts oder links abgegeben worden, rollt meist unangefochten, von Mann zu Mann wandernd, ganz aussen, und schon sieht man auch, wie die Engländer den Ball decken, indem ihrer Drei, Vier den rollenden Ball cerniren [= einschließen, umgeben, blockieren]. Meist nimmt einer derselben ihm den Ball ab, ein scharfer ‚Schuss’ und der Ball fliegt unaufhaltbar an dem verdutzten Thorwächter vorbei in das Thor. Das ‚Abgeben’ des Balles ist ein wichtiger Punkt in dem taktischen Spielplane der Engländer. In der Mehrzahl der Fälle stellt dasselbe eine Finte dar, bestimmt, den Gegner in Bezug auf die Angriffsrichtung zu täuschen.

Suchten die Wiener, wie erwähnt, ihre Hauptstärke darin, den Ball in schwunghaftem Bogen zu befördern, was den Gegnern umso willkommener war, als sie in diesem Falle den Ball am besten beobachten konnten, so trachteten die Engländer wieder, wenn irgend möglich[,] den fliegenden Ball durch Auffangen geschieht mit dem ganzen Körper. Die Hände natürlich ausgenommen, mit dem Kopfe, den Schultern, dem Rücken etc., und das bekannte Rollspiel nimmt seinen Fortgang. Das Kopfspiel, das bei den Unserigen übrigens auch Wagner und Nicholson mit grosser Geschicklichkeit producirten, wird bei den Oxfordern mit bewundernswerther Technik ausgeführt. Gelang es den Wienern, den rollenden Ball zu erobern, und war derselbe von diesen mit der üblichen Vehemenz – aber zumeist leider ganz wahllos in der Zielrichtung – in das gegnerische Feld gelangt, so hatten die Oxforder wieder Gelegenheit, ihre hochentwickelte Lauftechnik zu bethätigen. In wunderbaren flachen Sprüngen kamen sie hinterher, tauchten sie, wie aus dem Erdboden gewachsen, an den gefährdeten Punkten auf, zwei, drei vier Blau-[W]eisse gegen einen Wiener, so dass man wiederholt den Eindruck hatte, die englische Mannschaft sei doppelt so zahlreich als der Gegner! Unter den Läufern zeichnete sich namentlich der mit grossartigen Wadenmuskeln ausgestattete Jameson aus, mit dem Schritt zu halten keinem der Wiener gelang.

Die denkbar undankbarste Rolle fiel den Wienern des ersten Tages zu. Sie sollten die Feuerprobe gegen die gefürchteten Oxforder bestehen. Der Mangel jedes Zusammenspiels gab sie jenen völlig in die Hände, und wenn auch Wagner und Mollisch mit Todesverachtung arbeiteten, so waren es immer nur Kräftezersplitterungen gegenüber der geschlossenen englischen Phalanx. In dieser zeigte sich insbesondere G. C. Vassal, der neben A. M. Hollins die meisten Bälle erzielte, in seiner ganzen Grösse. Die ‚gemischte’ Mannschaft des zweiten Tages hatte schon Manches den Oxfordern abgeguckt, und man konnte dann und wann Contouren eines Zusammenspiels wahrnehmen. Wieder waren es Wagner, der unermüdliche Nicholson, Gramlick und Windett, die retteten, was zu retten war, und auch Mollisch wehrte so manchen Ball erfolgreich von seinem Thore ab. Shires war der Einzige, der den Ball überhaupt in das Oxforder Thor brachte, doch zählte der Erfolg leider nicht, da der Ball von ausserhalb des Feldes abgeschossen worden war. Russel, der englische Thorwächter, bekam auch einige Male zu thun, und er konnte seine Geschicklichkeit beweisen, indem er sogar auch in beträchtlicher Entfernung von seinem Thore den Ball unschädlich zu machen wusste.

Exempla trahunt – heisst es für gewöhnlich. Der erste Gedanke, den die Herren vom Athletiksport-Club unter dem frischen Eindrucke der empfangenen Schlappe geäussert haben sollen, war der, schleunigst einen englischen Trainer zu engagiren. Ein lobenswerther Gedanke! Freilich wird es der Trainer allein nicht machen. Die Sache liegt tiefer. In England bildet die athletische Ausbildung der Jugend einen Hauptfactor der Erziehung, nicht so bei uns. Was dort auf denkbar breitester Basis seit vielen, vielen Generationen gehegt und gepflegt wird, das ist hierzulande unsystematisches Stückwerk. Das Wiener Comité zur Veranstaltung von Fussballwettspielen, das es sich zur Aufgabe gemacht har, diese klaffende Lücke ein wenig auszufüllen, hat sich, indem es unter ansehnlichem pecuniären Risico den Besuch der englischen Mannschaft in unserer Stadt herbeiführte, den Dank jedes Wieners erworben, der die erzieherische Rolle des Sports in körperlicher und moralischer Hinsicht erfasst.

Zu dem Wettkampfe hatte sich eine bemerkenswerth zahlreiche Zuschauerschaft, darunter so mancher hochgeborene Vertreter der oberen Zehntausend, eingefunden, und der lebhafte Applaus wie insbesondere die urwüchsigen Beifallsausbrüche der anwesenden ‚goldenen’ Jugend bewiesen deutlich, dass das Verständniss[!] für den Sport heute bei uns doch schon im Wachsen ist.”

(H., J.: Der Fussballkampf – Oxford – Wien. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 09.04.1899. S. 386. Letzter Zugriff: 04.03.2018.)

“Was dort auf denkbar breitester Basis seit vielen, vielen Generationen gehegt und gepflegt wird, das ist hierzulande unsystematisches Stückwerk.”, gut, “viele, viele Generationen” lässt längere Zeit als vierzig bis siebzig Jahre (Rugby) vermuten. Denn in den meisten public schools wurden erst Ende der 1840er und in den 1850er Jahren Fußballvereine gegründet. Der hier genannte Verein aus Oxford gab es erst seit 28 Jahren.

Neun Jahre später

Neun Jahre später blickte ein Dr. Frey auf dieses Spiel zurück, das entscheidend für das Fußballspiel in Wien war.((Vgl. Frey, NN: Modernes Fussballspiel. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 31.10.1908. S. 1374.)) Er stellte fest, dass Wiener Fußballvereine mittlerweile das Kombinationsspiel erlernt haben, aber noch nicht alle Elemente des englischen Kombinationsspiels pflegen, so das Zusammenspiel von Verteidigern, Mittelfeld und Angriff.

“Das Jahr 1899 bedeutete für die Entwicklung des kontinentalen Fußballsports einen richtigen Wendepunkt. Zum ersten Male trat eine englische Mannschaft die Oxonians unseren einheimischen [österreichischen] Spielern entgegen. Sie hinterließ ‚blutige’ Spuren. Die Treffer fielen in Masse. Spielend durchbrachen die Oxforder Stürmer die Reihen der Unseren und geradezu verblüffend war es, wie leicht sie dahin schwebten, während die Unseren sich im Schweiße des Angesichtes abmühten.

Bald hatte man die Ursache ihres Erfolges heraus. Kombination ward das Schlagwort aller Fußballer. Das Training, bisher bloßer Zeitvertreib, wurde etwas systematischer. Hier übte sich einer darin, den Ball vor sich herzutreiben, dort war eine Gruppe mit der Kunst beschäftigt das Spiel zu bremsen, oder mit den Kopfstößen. Mancher Klub leistete sich sogar einen englischen Trainer. Und nicht zuletzt die alljährlichen Spiele mit den Engländern brachten uns schließlich dahin, wo wir heute sind.

Waren wir früher so schwach, daß sich erstklassige englische Mannschaften mit dem Angriffsspiel genügen konnten, so sind wir jetzt soweit erstarkt, daß wir auch ihre gesamten Verteidigungskräfte zwingen, voll in Aktion zu treten.

Und nun konnten wir erkennen, was sich allerdings voraussehen ließ, daß der Kombination der Angreifer eine Kooperation der Verteidiger entsprechen muß, sollen die letzteren aufkommen können. Geradezu klassisch zeigte dies Manchester United bei seinen heurigen Spielen in Wien. Dies ist neben der Überlegenheit der einzelnen Spieler als solcher die Hauptursache, warum ihre Mittel- und Verteidigungsspieler die Angriffe der Wiener, bevor sie sich überhaupt entfalten konnten, im Keime erstickten. Vor der Darstellung dieses vorbildlichen Verteidigungsspiels der Engländer ist es jedoch nötig, sich über unsere Verteidigung und deren Mängel klar zu werden.

So wie eine Zahl vereinzelter Handwerker mögen sie auch eine übernormale Geschicklichkeit entfalten, auf die Dauer mit einer gleich großen Zahl, wenn auch nur normal veranlagter, aber kooperierender Arbeiter nicht konkurrieren kann, so liegt im Vergleich zu den englischen Hinterspielern die Schwäche unserer Deckungs- und Verteidigungsleute neben der schon erwähnten geringeren individuellen Spieltüchtigkeit vor allem darin, daß sie den kombinierenden, also mehr oder weniger einheitlich angreifenden Stürmern die eigenen Kräfte nur zersplittert entgegenstellen. Zwischen Deckung und Verteidigung im engeren Sinne herrscht ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Schwarmlinie und Reserve. Nur wenn beide von vornherein einheitlich auftreten, können sie ihre Aufgabe erfüllen. Wenn aber die Reserve so weit hinter der Schwarmlinie steht, daß sie diese später erreichen kann als der angreifende Gegner, dann wird der Feind die im vereinzelt gegenübertretenden Teile leicht zurückwerfen. Was für den Krieg, gilt mutatis mutandis auch für das friedliche Wettspiel. Ein Beispiel wird dies zeigen: Der feindliche linke Flügel greift an; der rechte Mittelspieler wirft sich entgegen, wird aber, da er nur als einzelner auftritt, von den kombinierenden Stürmern passiert; für den Moment ist er erledigt. Nun kommt der rechte Verteidigungsspieler daran und da auch er nur seine individuelle Kraft der kombinierten seiner Gegner entgegenstemmen kann, wird er meist den kürzeren ziehen. Daß dies in Wirklichkeit nicht immer so zugeht, ist richtig. Es stehen einander eben nie völlig gleichwertige Gegner gegenüber und oft macht ein Mittel- oder Verteidigungsspieler einen taktischen Fehler durch individuelle Mehranstrengung wett. Dies ist bei uns sogar die Regel. Damit ist aber nicht die Theorie ad absurdum geführt. Denn wie in der Produktion, gilt auch bei der sportlichen Betätigung der oberste Grundsatz: Der Erfolg ist mit dem möglichst geringsten Aufwand dort von Produktiv-, hier von Leibeskräften zu erzielen.

Schon diese Betrachtung unserer jetzigen Spielmethode zeigt, daß die Verteidigung der Kombination der Angreifer etwas Ähnliches entgegensetzen muß. Hat aber die Kooperation der Stürmer den Ball zum Gegenstande, weil sie ja ihn ins Tor jagen soll, so ist des bei der Hintermannschaft ausgeschlossen, denn vernichten heißt ihre Aufgabe und erst in zweiter Linie kommt die positive, unterstützende Tätigkeit. Danach ist es klar: Nicht der Ball, sondern die Spieler selbst sind hier sozusagen der Gegenstand der ‚Kombination’. Sie müssen durch eine zweckentsprechende, der wechselnden Situation sich immer anpassende Aufstellung derart zueinander in Beziehung stehen, daß sie von vornherein eine ‚Einheit darstellen. Nehmen wie das obige Beispiel: Wiederum attackiert der feindliche linke Flügel. Der rechte Half geht an und wird passiert. Aber in demselben Momente wirft sich auch schon der richtig stehende rechte Verteidiger entgegen, klärt oder hält wenigstens den Angriff auf und gibt dem Deckungsspieler Gelegenheit, sich zurückzuziehen und ihn nun seinerseits zu decken, während oben der Deckungsmann für den Moment ganz außer Gefecht gesetzt war.

Für dieses ‚Stellungsspiel’ läßt sich folgendes Schema geben: Denken wir uns die Spieler in ihrer Grundaufstellung untereinander durch Gummischnüre verbunden. Was geschieht nun, wenn z. B. der eigene rechte Flügel zum Angriff übergeht? Die ganze Mannschaft wird nach vorne und rechts verschoben. Wer dem rechten Flügel näher ist, wird mehr, wer von ihm entfernter ist, wird weniger seine Stellung ändern müssen. Analog wird sich dann auch die Placierung beim Gegenangriff gestalten. Diese Schablone zeigt das Bewegungsgesetz, welches Verrücken und Rückzug der Mannschaften im Wettspiel beherrschen sollte.

Allerdings, das bloße Wissen dieses Grundsatzes wird in der Praxis nicht viel nützen, wenn der einzelne nicht schon jene Fähigkeiten erworben hat, welche erforderlich sind, um dieses Prinzip zu verwirklichen. Ein gewisses Maß von physischer Kraft und technischem Können zwar wird man von jedem wünschen, den der Kapitän in die erste Mannschaft einstellt. [In der Mehrheit waren die Kapitäne noch gleichzeitig Trainer und Manager.] Aber die verlangten geistigen Fähigkeiten, welche zur Durchführung des Stellungsspieles erforderlich sind, können nur empirisch, je nach der Anlage, mit kürzerer oder längerer Wettspielpraxis erworben werden.

Von wie vielen Momenten hängt nicht die jeweilige Position des einzelen ab?! Dabei muß die jedesmalige Situation im Nu beurteilt werden, weil im Wettspiel Bruchteile einer Sekunde eine entscheidende Rolle spielen. Zunächst wird der Spieler seine eigene Spielstärke gut kennen müssen, vor allem seine Schnelligkeit. Es gibt viele Verteidiger, die sich in dieser Hinsicht überschätzen. Im Vertrauen auf ihre Schnelligkeit pressen sie hart an die Deckungsreihe an, ein langer Paß quer über Feld, da braucht nur ein [Ludwig] Hussak dazwischen zu treten und das Unglück ist fertig. Ferner ist es erforderlich, die Spielstärke auch der Mitspieler zu kennen. Hiervon hängt ja die ‚Reichweite’ beispielsweise des Mittelspielers ab und danach wird der Verteidiger die Distanz und das Intervall, wie er sich ‚staffelt einrichten müssen. Weiters sind zu berücksichtigen: die Schnelligkeit der gegnerischen Spieler, ihre Spielmethode, ob sie kurzes oder langes Passen, Flügel- oder Dreiinnenspiel((2-3-5-System, siehe dazu auch Escher, Tobias: Vom Libero zur Doppelsechs. Hamburg 5^2017. S .42-43.)) forcieren etc. und schließlich spielen auch natürliche Umstände eine Rolle, z. B. die Windrichtung.

Diese Momente in jedem Augenblick zu beurteilen, sofort den richtigen Entschluß zu fassen und ihn ebenso schnell in die Tat umzusetzen, dazu gehören zwei Eigenschaften, welche allerdings bei uns noch selten vereint angetroffen werden: Erfahrung und Aufmerksamkeit. Wer von Anfang an dem Spiele – nicht bloß dem Balle – folgt, wer von Zeit zu Zeit die eigene und feindliche Stellung überschaut, wer die Spielweise der speziell ihm gegenüberstehenden Gegner scharf beobachtet, und zwar auch dann, wenn er selbst momentan unbeschäftigt ist, wird in jeder Situation wenigstens beiläufig das Kommende ahnen, der wird, wenn er in Aktion treten soll, bereits richtig placiert sein und erfolgreich eingreifen können.

Im allgemeinen läßt sich von Feinheiten absehend, dieses Gesetz des ‚Positionsspieles’ folgendermaßen formulieren: Nie auf gleicher Höhe, nie genau hintereinander aufgedeckt stehen; immer schief nach rückwärts gestaffelt, den Vorderen die Innenseite decken!
Dr. Frey.”

(Frey, NN: Modernes Fussballspiel. In: Allgemeine Sport-Zeitung [Wien], 31.10.1908. S. 1374. Letzter Zugriff: 04.03.2018.)

Fotocredits

Fotografie des Oxford University AFC vor seiner Reise nach Österreich. In: Allgemeine Sportzeitung [Wien], 25.03.1899. S. 323.

[cite]

Der feine Sportlikör “Hahohe”

Kurz stutzte ich, als ich in der wöchentlich erschienenen Arbeitssport-Zeitschrift namens Freie Sport-Woche die Überschrift “Wer kennt den feinen Sportlikör ‘Hahohe’?” las. Werbung? – Nein. Kommt daher der Ruf der Hertha-Fans? – Nein, den gab es schon vorher und gab dem Likör den Namen.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob es sich bei dem Artikel um die Wahrheit oder eine Verulkung des “bürgerlichen Fußballsports” durch die Arbeitssport-Zeitschrift handelt. “Bürgerlich” bezeichnet diese Zeitschrift Vereine, die zum DFB gehörten und professionell und kapitalistisch agierten – im Gegensatz zum Arbeitersport.

Vielleicht kennt jemand den Likör oder weiß, dass es nur eine Verspottung ist.

Ergänzung: Dank @blauesgehirn weiß ich nun, dass Willi Kirsei kein Unbekannter, sondern eine Legende war, die Hertha zur Meisterschaft 1930/31 führte. Was einen bei der Lektüre des Artikels noch mehr schmunzeln lässt.

 

Wie auch immer – hier der gesamte Artikel aus: Freie Sport-Woche. Zeitschrift für Spiel und Sport 12 (1930). S. 209-210 (= Nummer 13, 31. März 1930).

 

Wer kennt den feinen Sportlikör “Hahohe”?

Wilh. Busch, einer unserer feinsten Humoristen prägte einmal das sehr bedeutsame Verschen: ” Es ist ein Brauch von alterher, wer Sorgen hat, hat auch Likör!”[.] Ob der Wahrheit und Weisheit dieses Lätzchens braucht sich niemand zu streiten, der einen offenen Blick für die Seiten des Lebens hat.

Inwieweit dieser Ausspruch aber auch auf das sportliche Leben in Bezug gebracht werden konnte, lag bisher immer noch in ungeträumten Träumen begraben.

Aber auch hier hat sich dieser Tage eine Wandlung vollzogen. Jetzt wissen wir, daß “geistreiche” Sportfreunde für den Sport etwas erfunden haben (für den bürgerlichen selbstverständlich nur), das ihn bestimmt jetzt besser auf die Beine bringen wird.

Stand dieser Tage da in einem bürgerlichen Berliner Sportblättchen in großer Inseratenaufmachung;

“Ha, Ho, He – edelster Feinbittersportlikör.
Generalvertreter: Willi Kirsei!”

Als Erklärung ist dazu folgender Anhang gemacht, um die Sache richtig zu begreifen:

Mit “Ha, Ho, He!” zogen in den letzten Jahren die Berliner “Herta”-Leute immer in den Kampf[,] um  die Deutsche Fußballmeisterschaft. Der Schlachtruf “Ha, Ho, He, Herta BSC” sollte, von ihrer Anhängerschaft tausendfach gebrüllt, der Herta-Mannschaft öfter schon zum Meistertitel verhelfen. Aber leider – mit den bloßen Wort war’s nie allein getan. Eben deshalb wohl hat ein findiger Kopf den Ha-Ho-He-Feinbitterlikör erfunden. Mit dessen “Hilfe” man wohl nun glaubt, einmal Meister werden zu können. Das Interessanteste aber an der Geschichte ist die Person des Generalvertreters. Herr Kirsei ist schon lange Zeit Spieler bei Herta BSC. Von ihm ist auch die Tatsache bekannt, daß er als “Amateurspieler” Tagesspesen in Höhe von 15 M. erhält, die aber nur als Aufwandsentschädigung gelten für Trainingsunterricht. Na, schon gut. Wir “glauben” das gern, sind doch die Begriffe Amateur oder Berufsspieler in  d e m  Lager eng miteinander verbunden.

Im allgemein aber werden durch den Feinbittersportlikör  H a h o h e  die Aussichten sich im bürgerlichen Felde weisen, dem Sport nun auch in dieser Sache mehr “Vergeistigung” antun zu können. Denn man to! Wir gratulieren herzlichst zu diesem Fortschritt. Er wird den bürgerlichen Sport nun auf andere Füße stellen, und der Herr Generalvertreter wird die Bestellung in Zeiten der Meisterschaft kaum erledigen können. Prost drauf! Heil und Sieg! – – – E. F.”