Die European Super League: Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich

Ein Alleingang im Fußball, der jedoch genauso schnell in sich zusammenfällt, wie er startete. Was auf die 60-stündige Super League passt, ist nichts Neues, sondern ein altes Schema.

Auch im Fußball gilt: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Weder 2021 die European Super League –noch 1920 die Gründung des ersten deutschen Profivereins, auf die der DFB mit einer Machtdemonstration reagierte, indem er allen involvierten Spielern und Vereinen mit Sperren drohte. Der Verband wollte den Amateurstatus für den Fußball über alle Ligen erhalten. Die Drohgebärde funktionierte. Nur wenige Fans besuchten die beiden einzigen Spiele des 1. Deutschen Berufs-Fußball-Club Berlin und der Hauptinitiator, Otto Eidinger, ging bankrott.

Der DFB als Bewahrer des guten, alten Fußballs

Vor 101 Jahren begann der Fußball in Deutschland so richtig zu boomen und Geld in die Kassen der Verbände und Vereinsbesitzer zu spülen. Die Spieler wollten ihren Anteil daran erhalten, doch der DFB erneuerte in den 1920er Jahren mehrfach sein Amateurstatut: Ja zum Fußball, nein zur Bezahlung. Dabei war eine Entlohnung der Spielerstars bereits vor dem 1. Weltkrieg bei den damaligen Topclubs gang und gäbe, wenngleich nur unter der Hand: Geld, Prämien, angenehme Jobs oder das Bereitstellen einer möblierten Wohnung waren die üblichen Entlohnungen, mit denen die Spieler ihren Arbeits- und damit Lohnausfall in ihrem Beruf kompensieren konnten.

Dennoch war auch schon in den 1910er Jahren offensichtlich, dass er Fußball wirtschaftsgetrieben war. Das steigende Interesse an dem Sport führte zu ebenso steigenden Erwartungen. Für deren Erfüllung waren sowohl ein besseres Training wie auch bessere Spieler notwendig – und damit mehr Geld, das über Zuschauer*innen-Einnahmen gedeckt werden sollte. Je erfolgreicher der Verein, desto mehr Zuschauer*innen, aber für den Erfolg brauchte es immer besser ausgebildete Spieler.

Zwischen Dominanz und Einlenken

So, wie die European Super League nun nur aufgehalten wurde, aber nicht gestorben ist, war die Entwicklung auch vor etwa 100 Jahren in Deutschland: Es gab einige Top-Clubs in den Landesligen, deren Bestplatzierte zu Saisonende in Play-off-Spielen den Deutschen Meister unter sich ermittelten.

Clubs wie der Hamburger SV, FC Nürnberg sowie der FC Bayern und FC Schalke 04 kritisierten die sportpolitische Vereinnahmung des Fußballs durch den DFB: Es sei offensichtlich, dass der Fußball nicht mehr nur zur Körperertüchtigung für potentielle Soldaten diene, sondern auch der Unterhaltung der breiten Bevölkerung. Doch der DFB blieb bei seiner Linie und ließ ab Februar 1925 die Vereine und Spieler noch stärker kontrollieren. Eine Konsequenz war, dass das Nationalteam in diesem Jahr kein Spiel mehr bestreiten konnte, weil den Spielern die Zeit zum Trainieren fehlte und eine Entschädigung der Trainingszeit dem DFB-Amateurstatut widersprach.

Im Jahr 1930 kam es in Gelsenkirchen wie bereits 1885 im englischen Preston: Der DFB führte ein Exempel durch, erklärte 14 Schalke-Spieler aufgrund ihrer erhaltenen Entlohnung zu Berufsspielern und sperrte sie. Doch diesmal ließ auch die Gegenseite ihre Muskeln spielen und zeigte diverse weitere verdeckte Berufsspieler bei anderen Vereinen an. Die anderen Vereine reagierten aber nicht brüskiert, sondern solidarisierten sich mit dem FC Schalke 04. Der DFB fürchtete einen Machtverlust und hob die Sperren auf.

Zeichen für ein Umdenken beim Verband? Nein, im Gegenteil. Denn nach seinem kurzen Einlenken erklärte der DFB dem Berufsfußball eine erneute Absage. Offenbar wähnte er sich als Tonangeber und rechnete nicht damit, was im Oktober 1930 geschehen sollte und was wiederum an den April 2021 erinnert: Es gab ein Treffen mehrerer großer deutscher Vereine, an dessen Ende die Einigung auf die deutsche Professionalismus-Reichsliga stand. Doch entgegen der Entwicklungen der Super League folgten mehrere Monate voller Diskussionen rund um Macht und Wirtschaftskraft. Am Ende stand eine vom DFB gesteuerte Reform, die die Vereine zum Einlenken brachte.

Ein Blick in die Glaskugel

Was bedeutet das nun für die Super League? Die Geister, die der Fußball durch seine Beliebtheit rief, wird er nicht los. Die Spirale des modernen Fußballs wird sich immer weiterdrehen. Das schnelle Ende der Super League zeigt aber auch den Einfluss der Fans und Fanorganisationen, nicht zuletzt über die sozialen Medien: Wir können zwar nicht ihre Drehbewegung aufhalten, denn für zu viele ist Fußball tatsächlich nur ein Entertainment. Aber die Geschwindigkeit der Drehbewegung lässt sich verlangsamen – so wie gerade geschehen.

Ein Zitat, das Mark Twain in den Mund gelegt wird, lautet: Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich. Das trifft auch immer wieder auf dieses Prozedere im Fußball zu.

Und die Geschichte zeigt: Ereignisse wie die Super League sind nicht neu und die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, aber wir können sie gestalten.

Vom Kaiserreich zur Kommerzialisierung: Deutschland und der moderne Fußball

„Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. Synonyme sind Adjektive wie aktuell, neu(artig), zeitgemäß und meinen damit auch fortschrittlich und etwas, das gerade eben („modo“) beliebt geworden ist. Ähnlich definiert es auch der Duden. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Allerdings geht es hier wirklich nur um die Anfänge des Fußballs, d.h. um etwa die Phase 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland.

Dieser erste von zwei Teilen befasst sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England.

Dieser Beitrag erschien erstmals 2019 auf 120minuten.net

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gab es in England football, in Frankreich soule, in Italien calcio. In Deutschland, genauer gesagt dem damaligen deutschen Kaiserreich, gab es vor dem 19. Jahrhundert kein Fußballspiel. Es konnte also nicht auf schon bekannte Formen zurückgreifen, die in der Folgezeit reguliert wurden. Fußball war unbekannt. Und daher musste er erstmal Fuß fassen, um modernisiert werden zu können. Denn das Wort modern setzt ja voraus, dass es schon eine Vorform, eine antike Form zuvor gab.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und beide Fußballvarianten, Rugby und (Assoziations-)Fußball, nach Deutschland. Denn die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf die liebgewonnenen Sportarten verzichten, die auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterte. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen an Fußball und imitierten ihn. Das passiert vor allem in den so genannten Engländerkolonien in Deutschland. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, oder in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen. Auch in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt sind hier Beispiele – und in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

Soziale Herkunft der Fußball-Liebhaber: Engländer in Deutschland und Konrad Koch

Es waren aber nicht nur die in Deutschland lebenden Engländer, die den Fußball in Deutschland bekannt machten, sondern auch Konrad Koch, der Thomas Arnolds Ideologie und Leben profund während seines Studiums erforscht hatte. Koch muss von Arnold begeistert gewesen sein, denn er kopierte ihn und führte als Lehrer das Fußballspiel 1874 am Martino-Katharineum in Braunschweig ein, um die Jugendlichen fit zu machen und um die Basis für eine athletische Elite zu legen. Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren. Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie es in England damals gerade passierte. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über. Als die erste Assoziationsfußballmannschaft in Deutschland gilt der Lüneburg College Football Club, bei dem den Namen der Spieler nach auch aus Deutschland stammende Schüler spielten.

Vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-20. Wer mehr zu Konrad Koch wissen möchte, sei Malte Oberschelps 2015 erschienene Biografie über Koch sehr empfohlen.

Denn in Deutschland war das Turnen die Körperertüchtigung Nummer Eins. Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt geworden, war das Turnen eng mit studentischen Verbindungen und dem Einheits- und Nationalgedanken verbunden. Die aus England kommenden Sportarten wie Rugby oder Assoziationsfußball, Tennis oder Cricket wurden argwöhnisch beobachtet, weil sie eben aus England stammten und nicht deutschen Ursprungs, also nicht Teil der deutschen Kultur waren. Dazu kamen die Übersetzungsschwierigkeiten des englischen Begriffs sports, der letztendlich einfach in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Auch Fachbegriffe wie offside, hand, to center oder goal wurden zunächst übernommen.

Die Spielbewegung und der Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen

Im November 1882 erließ der preußische Kultusminister, Gustav von Goßler, den nach ihm benannten Spielerlass. Er ermunterte darin die preußischen Kommunen, Spielplätze zu bauen und Turnen (später auch Bewegungsspiele/Sport) als regelmäßigen Teil des Unterrichts zu integrieren. Gleichzeitig sollten schulfreie Spielenachmittage etabliert werden.

Neun Jahre später, am 21. Mai 1891, gründeten von Goßler und der preußische Abgeordnete Emil Freiherr von Schenckendorff den Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen (ab 1897 Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugendspielen), kurz ZA. Der ZA war dabei kein Zusammenschluss von Fußball-Liebhabern verschiedener sozialer Herkunft, sondern bestand vor allem aus Mitgliedern der Nationalliberalen Partei und dessen Alldeutschen Verbandes (gemeinsame Ziele: Stärkung des deutschen Nationalbewusstsein, Pro-Imperialismus), somit vor allem Politikern, Beamten und Armee-Angehörigen. Ihr vorrangiges Ziel war aber nicht, den Sport politisch zu vereinnahmen, sondern vielmehr eine philanthropische, erzieherische, militärische und sozialdarwinistische Mischung, eine „gesunde“ Elite an sportlichen Deutschen und damit potentiellen Soldaten heranzuziehen. Daher versuchten die engagierten Persönlichkeiten, die Gräben zwischen Turnern und Sportlern aufzufüllen und zwischen ihnen zu vermitteln. Turnen und Sport (zeitgenössisch auch Bewegungsspiele genannt) sollten parallel existieren und sich ergänzen. Um diese Absicht zu erreichen, versuchte der ZA, die einzeln wirkenden Kräfte in Deutschland zu bündeln, um so das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen. Dazu gehörte der Zentralverein für Körperpflege in Volk und Schule, der Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen, das Komitee für die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen 1896 und später der 1911 gegründete Jungdeutschlandbund, in dessen Bundesleitung auch viele Mitglieder des ZA vertreten waren und der sich wie der ZA in der vormilitärische Ausbildung engagierte.

Wie versuchte man, die Ziele zu erreichen? Nun, durch einen intensiven Lobbyismus in Militärbehörden und Schul- und Stadtverwaltungen, Englandreisen, regelmäßige und verschiedene Zielgruppen ansprechende Veröffentlichungen und eine enorm große Werbetätigkeit. Die Geldmittel kamen aus dem preußischen Kultusministerium und anderen deutschen Landesregierungen.

Der ZA erreichte letztendlich seine Ziele der Verbreitung der Sportarten und die nationale Ausrichtung dieser.

Der Deutsche Fußballbund

In den 1890er Jahren entstanden eine Reihe von neuen Vereinen und auch erste regionale Fußballverbände, zum Beispiel in Berlin (Bund Deutscher Fußballspieler 1890, Deutscher Fußball- und Cricketbund 1891). Doch während Vereine in England gewachsene Gemeinschaften waren, gab es in Deutschland eine hohe Fluktuation in den Vereinen und daher auch einen geringen Zusammenhalt der Spieler. Die Identifikation mit einem Club war also nicht gewachsen – das kam dem ZA ungelegen. Seine Versuche, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten zunächst an Unstimmigkeiten zwischen den Verbänden. Nach einigen Jahren der Vermittlung gab es Ende Januar 1900 in Leipzig einen neuen Versuch, einen deutschen Verband zu gründen. Nun stimmten 60 der 86 Vereine für die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Die Gründungsmitglieder waren sowohl regionale Verbände (Verband südwestdeutscher Fußballvereine, beide Berliner Verbände und der Hamburg-Altonaer Fußball-Bund) als auch einzelne Vereine aus Prag, Magdeburg, Dresden, Hannover, Leipzig, Braunschweig, München, Naumburg, Breslau, Chemnitz und Mittweida – also aus dem ganzen damaligen Deutschland. Der Spielausschuss des DFB erstellte in den kommenden Jahren einheitliche Statuten und Spielregeln nach englischem Vorbild (1906 herausgegeben) und es gab einen regelmäßigen Spielbetrieb um die Deutsche Meisterschaft (ab der Saison 1902/1903) und den Kronprinzenpokal (ab der Saison 1908/1909).

Im DFB entschied man sich für die nationale und gegen die kosmopolitische Ausrichtung. Denn so erhielten sie vor den Turnern den Vorzug, um die Exerzierplätze als Spielfeld benutzen zu dürfen. Als Wehrsport wurde der Stereotyp eines Fußballers mit soldatischen Idealen aufgeladen: Kampf und Opfermut bis zur letzten Minute, Pflichttreue und Treue zur eigenen Mannschaft sowie Charakterstärke und Idealismus. An diesem Ideal hat sich bis heute wenig geändert und es ist auch der Grund, weshalb in Deutschland die Legalisierung von entlohntem Fußball noch vehementer abgelehnt und stigmatisiert wurde als in England. Vieles ist in Deutschland wie in England verlaufen, nur etwa 50 Jahre später, aber nicht in diesem Punkt: Während Fußball in England modern wurde, als er legaler Profifußball wurde und viele Menschen direkt oder indirekt durch das Fußballspiel Erwerbsmöglichkeiten fanden, wurde Fußball in Deutschland durch das Militär und das soldatische Ideal, also durch das deutsche Amateurideal, modern. Das änderte sich auch nicht, als der Profifußball etwa 50 Jahre nach der Legalisierung in England auch in Deutschland legalisiert wurde. Das ist vielleicht ein Grund, weshalb in Deutschland das Begriffspaar moderner Fußball mittlerweile stark negativ konnotiert ist und die 50+1-Regelung nicht schon längst über den Haufen geworfen wurde. Es ist aber vielleicht auch der Grund dafür, dass häufig und des Geldes wegen wechselnde Spieler als Söldner(!) beschimpft werden, weil sie nicht bis zu ihrem letzten Atemzug ihrer Mannschaft treu blieben – bewusst sehr pathetisch formuliert.

Währenddessen stieg die Mitgliederzahl des DFB rapide an und versiebzehnfachte sich zwischen 1904 und 1913.

Wie schon gesagt, Goßlers Idee ging also auf, Fußball wurde Wehrsport. Schon vor 1910 spielte die Marine ihre eigene Fußballmeisterschaft aus, ab 1911 auch das Landesheer. Der DFB wurde wie der ZA Mitglied in staatlichen, militärisch geprägten Jugendorganisationen wie dem 1911 gegründeten Jungdeutschland.

Als Wehrsport musste sich Fußball nun aber endgültig von dem Vorwurf des undeutschen Sportes lösen und Sprachbarrieren  beseitigen. Daher gab es ab den 1890er Jahren immer wieder Artikel in Zeitungen, Pamphlete und auch Bücher, die die englischen Begriffe eindeutschten.

Moderner Fußball: Die Fußballbegeisterung wird Teil der deutschen Gesellschaft

Viele deutsche Soldaten lernten das Fußballspiel erst als Wehrsport während des ersten Weltkrieges kennen; liebten und lebten ihn. Die Spiele dienten hier, in dem reinen Stellungskrieg, vor allem zur psychischen Stabilisierung von Truppeneinheiten und zur Hebung deren Stimmung, fand aber auch durch seinen klassennivellierenden Charakter allgemeine Beliebtheit bei den nichtadeligen Milieus. Diese Begeisterung endete nicht mit dem Kriegsende – im Gegenteil. Manche spielten Fußball fortan in Vereinen und viele weitere wurden begeisterte Zuschauer. 1920 hatte der DFB die 500.000er Marke seiner Mitglieder geknackt. Jetzt begann der Fußball, auch in Deutschland ein Massenphänomen zu werden.

In dieser Zeit, in der Weimarer Republik, nahm Fußball eine Mittlerrolle zwischen der deutschen Bevölkerung und der Reichswehr ein. Dabei war die Grenze zwischen zivilem und Militärsport fließend. Das Wort Kampf wurde in den 1920er Jahren zu einem Schlüsselbegriff: Kampfspiele, Kampfbahn, Kampfgemeinschaft, usw. Der Fußball diente als vormilitärisches Feld, um trotz dem Verbot einer Armee, die kommende Generation an die Tugenden der Soldaten heranzuführen. Außerdem tarnten sich viele paramilitärische Vereinigungen als Sportclubs wie die Box- und Sportabteilung der NSDAP. Diese wurde aber schon verhältnismäßig früh, nämlich im November 1921, von Hitler in Sturmabteilung, SA, umbenannt.

Waren Sportarten wie Fußball nach Ende des ersten Weltkrieges ein gutes Ventil, um die psychische Belastung der Kriegsjahre zu kompensieren, bargen sie damit aber in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Gewaltpotenzial. Viele, die das Fußballspiel während des Krieges kennengelernt hatten, spielten einen derart unfairen Fußball oder benahmen sich als Zuschauer mit Platzstürmen und Gewaltandrohungen gegen Schiedsrichter und Gegner so rüde, dass Fußball zu Beginn der 1920er Jahre nicht nur breite Beliebtheit erfuhr, sondern gleichzeitig einen sehr schlechten Ruf erlangte. Der sehr angesehene Schiedsrichter Peter Joseph „Peco“ Bauwens legte 1925 wegen des Verhaltens der Spieler und Zuschauer in der Halbzeit des Spieles 1. FC Nürnberg gegen MTK Budapest schlicht sein Amt nieder.

Zu der Problematik von Fußball in der Weimarer Republik und Bauwens vgl. Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999. S. 306-339.

Dabei entwickelte sich der Fußball durch die zahlreichen Zuschauer zu einem veritablen Wirtschaftsgut. Diesen verlorenen Respekt versuchte der DFB abermals durch die Verknüpfung mit dem soldatischen Ehrbegriff wiederherzustellen – erfolgreich.

Die ersten Radioübertragungen

Unterstützung erfuhr der Fußball in Deutschland wie in England durch Journalismus, Getränke- und Bauindustrie, Wettbüros, Fotografie und Sportartikelhersteller. Auch Zigarren- und Zigarettenfabriken sowie Schnapsbrennereien profitierten von dem Sport, denn es war auf den Zuschauerrängen üblich, sich zwischendurch mit einem Schluck aus dem Flachmann oder einer Zigarre zu stärken. Neu und in diesem Fall ganz elementar war für Sportinteressierte das moderne Medium Radio, dessen Verkaufszahlen sich zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen. Es war für Sport und Medium eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC (Ende 1925)? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, um 1928 stark zurückzurudern: Um nicht die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Endspiel sowie drei Länderspiele vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem solche Spiele, bei denen eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten war.

Der DFB war kein Einzelfall. U.a. auch England und Schweden ließen die Übertragungen teils verbieten (Schweden) oder diskutierten über ein generelles Verbot (England).

Moderner Fußball: Profifußball wird (zum ersten Mal) legal

Mitte der 1920er Jahre kam es in Deutschland zu den ersten ernsten Anläufen, dass Fußballspieler ein bezahlter Beruf wird. Denn durch den Dawes-Plan (1925) und seine Unterstützungen begannen viele Städte, neue Stadien zu errichten, um mit Hilfe der Fußballbegeisterung die städtischen Kassen zu füllen. Um die Hypotheken schneller zurückzuzahlen und das Stadion auszulasten, musste man attraktive Spiele bieten und daher Fußballergrößen in die Vereine der Stadt locken. Außerdem war ab 1925 die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen wieder möglich. Der Ehrgeiz , eine besonders schlagkräftige Mannschaft nominieren zu können, war deshalb groß. Unter der Hand gezahlte Zuwendungen waren längst die Regel.

Der DFB blieb bei seinem soldatischen Ideal des Fußballers, den der ehrenvolle Verdienst leitete, nicht der finanzielle . Bei Zuwiderhandlung drohte die Disqualifikation aus Meisterschaft und Pokalwettbewerb. Dabei war der Wunsch vieler Vereine, wettbewerbsfähig zu anderen Ländern zu sein. Bereits 1925 hatte der DFB eine Satzungsänderung verabschiedet, die es deutschen Vereinen stark erschwerte, gegen ausländische Profimannschaften zu spielen. (Der Boykott wurde erst 1930 auf Druck der FIFA aufgehoben.)

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb weiterhin bei seinen Prinzipien. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten also nicht unter Tage arbeiten, erhielten dafür aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es noch 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbandes innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein. Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen. Aber der Profifußball wurde noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine blieb und zwei Jahre später fürchtete der DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass er wie ca. 50 Jahre zuvor Alcock in England den Fußballsport legalisiert, um ihn dann besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht. Daran hatten nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB wurde 1933 mit der Leitung des Fachamts Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte direkt die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs rückgängig.

Moderner Fußball: Profifußball wird (wieder) legal

1950, noch vor der Neugründung des DFB, beschloss die Delegiertenversammlung der Landesverbände, ein Vertragsspielerstatut zur Legalisierung des bezahlten Fußballs. Ein Spieler, der noch einem weiteren Beruf nachging, durfte dennoch nicht mehr als 320 DM monatlich erhalten, d.h. nicht mehr als den Lohn eines Facharbeiters. Aus dem Jahresgehalt errechnete sich die Ablösesumme. Zur der gehörte auch immer ein Gastspiel des neuen Vereines.

1954 wurde Deutschland überraschend Weltmeister. In den Folgejahren nahm die Bedeutung der Nationalmannschaft wegen fehlender Erfolge jedoch spürbar ab. Viele Spieler wechselten zu Vereinen ins Ausland, wo der Profifußball längst etabliert war und sie höhere Gehälter erhielten. Beispielsweise nach Italien, wo Helmut Haller (1962-1968 FC Bologna, 1968-1973 Juventus Turin), Karl-Heinz Schnellinger (1963-1964 AC Mantua, 1964-1965 AS Rom, 1965-1976 AC Mailand) oder auch Horst Szymaniak (1961-1963 CC Catania, 1963-1964 Inter Mailand, 1964-1965 FC Varese) spielten. Um dem Trend entgegenzuwirken, beschloss der DFB auf seinem Bundestag 1962 die Einführung einer Berufsspielerliga, der Bundesliga. Neben Amateurspielern und Vertragsspielern gab es nun auch Lizenzspieler, die ein dreimal so hohes Gehalt wie Vertragsspieler erhalten und einen Teil der Transfersumme kassieren konnte. Aber die Bestimmungen waren in den 1960er Jahren noch recht restriktiv, weshalb in der ersten Bundesligasaison nur 34 Spieler Fußball als Vollzeitberuf ausgeübt haben sollen. Sie brauchten einen guten Leumund, durften aber ihren Namen nicht für Werbezwecke zur Verfügung stellen und so weiteren Lohn erhalten und die Gesamtbezüge aus Lohn, Handgeld, Prämien und Ablösesummen durften nicht 1200 DM monatlich übersteigen.

Für den DFB lohnte sich die Einführung der Bundesliga: Die Nationalmannschaft hatte wieder Erfolg und da in den 1960er Jahren schon viele Haushalte über einen Fernseher verfügten, konnte sich der DFB durch Fernsehübertragungsgebühren, Werbeeinnahmen und Sponsorengelder finanzieren.

Für die Vertrags- und auch Lizenzspieler war das Fußballspiel innerhalb der vom DFB gesetzten Grenzen nicht rentabel und so verwundert es nicht, dass es in der Saison 1970/71 zu einem so großen Bestechungsskandal kam und der DFB abermals zum Umdenken gezwungen wurde. 1972 wurde der Markt geöffnet – seitdem steigen die Einkommen der Fußballprofis kontinuierlich. Die Liberalisierung der elektronischen Medien und das Bosmanurteil vom Dezember 1995 haben diesen Effekt noch einmal deutlich verstärkt.

Fazit: Moderner Fußball durch Eventisierung und Taktik

Doch wann hielt der moderne Fußball nun tatsächlich Einzug in Deutschland? Je nach Betrachtungsweise gibt es dafür drei Möglichkeiten:

  1. Macht man den modernen Fußball an der allgemeinen, nationalen Begeisterung fest, so war es der erste Weltkrieg.
  2. Verbindet man den modernen Fußball mit Profifußball und seinen Folgen, so waren es die 1960er und 1970er Jahren, da die erste Legalisierung 1932 nur wenige Monate Bestand hatte.
  3. Nimmt man den Begriff “moderner Fußball” dagegen als Ausgangspunkt, liegt der Beginn in den 1980er Jahren. Bis 1976 existierte dieser Begriff in der deutschsprachigen Literatur noch gar nicht. Seitdem gab es ein kurzes kleineres Maximum von 1987 bis 1988, das ab 2002 wieder erreicht wurde und mindestens bis 2008 übertroffen wurde.

Lag die erste Häufung des Begriffs Ende der 1980er Jahre an dem Wechsel von Trainer Arrigo Sacchi zum AC Milan und seiner dort etablierten Spielidee? Wurde dieses Ereignis in der deutschsprachigen Literatur tatsächlich so gewürdigt? Oder hat es eine andere Ursache? Darauf habe ich leider keine Antwort.

 

Vom Gentlemen- zum Arbeitersport: England und der moderne Fußball

„Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. Synonyme sind Adjektive wie aktuell, neu(artig), zeitgemäß und meinen damit auch fortschrittlich und etwas, das gerade eben („modo“) beliebt geworden ist. Ähnlich definiert es auch der Duden. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Allerdings geht es hier wirklich nur um die Anfänge des Fußballs, d.h. um etwa die Phase 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland.

Dieser erste von zwei Teilen befasst sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England.

Dieser Beitrag erschien erstmals 2019 auf 120minuten.net

Eigentlich. An der Uni habe ich gelernt, dass man möglichst nicht das Wort eigentlich benutzt, weil es eine Aussage so stark abmildert, dass diese ihren Sinn verliert. Aber wir sind hier ja nicht an der Uni. Also, eigentlich war Fußball in England ja schon vor 1820 beliebt. Football, das Fortbewegen eines runden Gegenstandes mit den Füßen, wurde zwischen nahegelegenen Siedlungen gespielt. Allerdings erinnern die Beschreibungen an ein sehr kampfbetontes Rugbyspiel, denn das Transportieren der Kugel mit den Händen war ebenso erlaubt wie gewaltfrohes Einsteigen als Tackling. Sei es mit Füßen und Händen oder mit anderen Mitteln wie Stöcken. Spielen durfte jeder; eine Einteilung in Spieler und Zuschauer gab es nicht. Zwar gab es einzelne Regeln, die jedoch nicht so regulierend in das Spiel eingriffen wie in die heutigen Varianten des Fußballspiels. Darüber hinaus gab es schon während der Frühneuzeit Bemühungen, die Fußballspiele zu regulieren und damit zu kontrollieren (Richard Mulcaster, 1561: Man brauche einen „training master“ und eine Person, die „jugde over the parties and hath authroritie to commaunce“ ), aber sie waren erfolglos.

Nimmt man diese Formen des Fußballspiels als alte, archaische Varianten an, so muss man die regulierten Fußballspiele an englischen Privatschulen zwangsläufig als den modernen Fußball bezeichnen, und zwar als Fußballspiele, die bestimmten Regeln unterworfen waren mit dem Ziel, die aus der Oberschicht (hierunter zähle ich „aristocracy“ und „gentry“) und gutverdienenden Mittelschicht stammenden Privatschüler zu Gentlemen zu machen.

Doch sie waren nur die Basis für das Entstehen eines Massenphänomens, das von Gentlemen in Gang gesetzt wurde. Als vermehrt Arbeiter Fußballspieler wurden, wandten sich die bisherigen Fußballliebhaber entweder vom Fußballsport ab oder unterstützten ihn als wirtschaftliche Gönner. Da die Arbeiter den Sport nicht als reine Muße ausübten, sondern ihn gerne als Nebenverdienst nutzten (dazu später mehr), wurde die Bemühung um einen entlohnten Fußballsport immer größer, denn die Bezahlung der Arbeiter, Bergarbeiter wie Fabrikarbeiter war so gering, dass die Familien mindestens am Existenzminimum, wenn nicht darunter leben mussten.
Ein weiterer Aspekt des modernen Fußballs in England entstand durch die Veränderung der Abseitsregel; der Möglichkeit nämlich, zu kombinieren und mit taktischen Finessen den Gegner auszuspielen. Das war vorher im von „long ball“ und „dribbling game“ geprägten Fußballspiel im 1-2-7-System mit sehr restriktiver Abseitsregel nicht möglich.

Fußballregelwerke und Fußballverbände schaffen die Basis

Thomas Arnold ist in aller Munde, wenn es um die Anfänge der Fußballregeln in England geht, aber das erste Fußballspiel an einer englischen Privatschule wurde 1815 in Eton gespielt, in Thomas Arnolds Schule in Rugby ab 1823. Etwa zur gleichen Zeit wie in Rugby wurde das Spiel an der Aldenham School (Elstree) eingeführt (spätestens 1825) und in den 1830er Jahren im Londoner Stadtteil Harrow sowie in Winchester und in Shrewsbury. Die Idee von Thomas Arnold war nicht so einmalig, wie sie mitunter dargestellt wird. Waren die verschiedenen Fußballregeln teils sehr unterschiedlich (Handspiel, Anzahl der Spieler, Kampfbetontheit, Größe des Spielfeldes, Aussehen des Tores, etc.), hatten die frühen (Schüler-)Fußballmannschaften doch Gemeinsamkeiten: Die Schüler sollten auf diese Weise spielerisch Gentleman-Ideale lernen: Ehrlichkeit, Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein, Selbstorganisation; kurz gesagt: Fairplay. So hatten die Teams keinen Trainer oder Manager – die Mannschaft organisierte sich selbst, Lehrer reagierten nur auf Anrufung der Schüler.

Leider sind die Regeln aus diesen Jahren sind nicht überliefert. Die älteste, überlieferte Regel ist das Regelwerk der Universität von Cambridge von 1856, die acht Jahre nach dem ursprünglichen Regelwerk erstellt wurde. Denn an der Cambridger Universität trafen sich fußballliebende, ehemalige Privatschüler, die aus den ihnen bekannten Regelwerken ein neues generierten, die Cambridge Rules. In anderen englischen Universitäten wird ähnliches passiert sein, überliefert ist das aber nicht. Was man weiß, ist, dass zeitgleich innerhalb der Städte Sportclubs der Oberschichten entstanden, die neben Reitsport und Jagd auch an den Fußballformen (Assoziations-)Fußball und Rugby sowie Cricket Freude fanden.

Jeder Club hatte wiederum seine eigenen Regeln. Damit sich die Clubs vor Spielen gegen andere Clubs der Stadt nicht immer einigen mussten, welche Regeln befolgt wurden und welche verboten waren, entstanden Verbände (football associations) in den einzelnen Städten, so 1858 zunächst in Sheffield und 1863 in London. Diese Verbände gingen in den folgenden Jahren ineinander auf, sodass 1877 nur noch die Sheffield FA und London FA verblieben und sich in diesem Jahr zu einer nationalen FA vereinten. Dabei wurde das Regelwerk der London FA übernommen. Zwar wurden in anderen Regionen Englands noch weitere Verbände gegründet – 1875 in Birmingham, 1878 in Lancashire, 1882 in Norfolk, Oxfordshire, Essex und Sussex, 1883 in Berkshire, Buckingham, Walsall, Kent, Nottinghamshire, Middlesex, Liverpool, Cheshire, Staffordshire, Derbyshire und Scarborough -, aber diese traten kurz Zeit nach ihrer Gründung der 1877 geeinten FA bei. Bereits 1871 hatte sich die Rugby Union gegründet. Damit war die Trennung in rugger und soccer (a_socc_iation) endgültig.

Aber nicht nur die einzelnen Stadtverbände, später dann die nationale FA, sorgten für die zunehmende Begeisterung für den Fußballsport und den Zusammenhalt der Clubs, sondern auch der FA-Cup, der ab der Saison 1871/72 durch die London FA ausgetragen wurde. In der ersten Saison nahmen 13 Clubs aus diesem Verband teil, nämlich acht Clubs aus London und fünf aus der Umgebung. Außerdem wurde der Glasgower Club Queen’s Park eingeladen. Die Idee für diesen Wettbewerb hatte Charles William Alcock, der Verbandssekretär der London FA und Mittelstürmer der Wanderers FC, früher Schüler an der Privatschule in Harrow. Den Harrower Wettbewerb mit K.o.-System übernahm er für den FA Cup, dessen ersten Wettbewerb er mit seiner Mannschaft (vorwiegend ehemalige Schüler aus Harrow) auch gewann. Alcocks Ziel mit der Einführung dieses Pokalwettbewerbs war, inoffiziell gezahlte Spielergehälter zu unterbinden, indem für den Sieger ein hoch dotierter Pokal in Aussicht gestellt wurde. Alcock dachte – als Gentleman -, dass der Anreiz des Pokalgewinns das Ehrgefühl der Spieler anspricht und diese sich deswegen fair, also unter gleichen, unbezahlten Umständen, messen würden. Doch dieser Versuch scheiterte nicht nur, er wandte sich in das Gegenteil um, da der Reiz des Wettbewerbs die Ideale des Amateurfußballs umging. Die Teilnahme am (London) FA Cup wurde in den kommenden Jahren beliebter, die Rivalität nahm zu, genau wie der Ehrgeiz, die Spannung und der Wetteifer und damit die Anwerbung von sehr guten Fußballspielern, um den Lokalrivalen im kommenden Spiel besiegen zu können. Außerdem lockten die Spiele durchgehend eine drei- bis vierstellige Anzahl an Zuschauern an, so auch viele Arbeiter, die auf diesem Wege leicht mit unbekannten, gleichgesinnten Menschen in Kontakt kamen – und die Kassen der Clubbesitzer füllten.

Der entlohnte Fußball in England

1850 wurde eine Erweiterung der Factory Acts, der Compromise Act, verabschiedet, der unter anderem den Feierabend um 14 Uhr an Samstagen einführte. So hatten auch Fabrikarbeiter/innen Freizeit. Fußball war eine Sportart, die verhältnismäßig wenig Geld kostete und manche Fabrikinhaber unterstützten die sportliche Freizeitgestaltung ihrer Arbeiter (fußballspielende Spielerinnen sind mir aus dieser Zeit nicht bekannt), stellten die Ausrüstung und bezahlten auch manchmal die Reisen zu Auswärtsspielen. Eine Win-Win-Situation, denn so waren die Inhaber sicher, dass ihre Arbeiter ihre Freizeit nicht bei übermäßigem Alkoholgenuss faulenzend verbrachten und die fußballbegeisterten Arbeiter hatten eine Alternative – auch für Bergarbeiter und ihre physisch und psychisch anstrengende Arbeit unter Tage. Es gab auch viele damalige Werksvereine, von denen manche heute noch existieren, beispielsweise die Munitionsfabrik Dial Square (Arsenal FC), die Thames Iron Works (West Ham) oder die Newton Heath LYR Company (Manchester United).

Auch Pubbesitzer trugen zur Kommerzialisierung des Fußballs bei. Sie nutzten das Interesse ihrer Besucher an Wettspielen und den Ergebnissen des lokalen Clubs. Daher boten sie einen Resultatservice für diejenigen an, die die jeweiligen Spiele nicht besuchen konnten. Via Telegrafen wurden die Ergebnisse durchgegeben und per Zettel an die Wand geheftet. Das Veröffentlichen der Ergebnisse weckte auch die Neugier von bisher nicht an Fußball interessierten Pubbesuchern und steigerte so nochmals das Interesse an der Sportart.

Anders als den Menschen aus der Oberschicht diente Fußball den Arbeitern nicht als gesunder Lebensstil und um Fairplay zu lernen, denn aus ihnen konnten keine Gentlemen werden. Er diente ihnen zur Geselligkeit und als Herausforderung. So veränderte sich die soziale Basis des Fußballsports – von den aus Ober- und Mittelschichten stammenden ehemaligen Privatschülern hin zu Arbeitern, von einem reinen Spiel hin zu einer entlohnten Tätigkeit. Abgesehen vom gesunden Lebensstil wollten viele ihren Einsatz während ihrer schon spärlichen Freizeit nämlich entlohnt haben. Und Clubbesitzer, häufig mit Blick auf das Steigern des eigenen Ansehens, entgolten gute Fußballspieler auch. Das steigerte bei vielen Aktiven die Ambitionen. Dieser wurde zusätzlich durch die Aussicht geschürt, dass man im Fall des Sieges zum lokalen Helden avancierte – eine soziale Anerkennung, die den Arbeitern sonst nicht zuteil werden konnte. Die sprichwörtliche englische Härte war Spiegelbild der sozialen Herkunft der Fußballspieler aus der Arbeiterschicht.

Zwar war eine finanzielle Entlohnung der Fußballer offiziell verboten, aber Clubs umgingen diese Regelung und boten entweder eine Bezahlung in Naturalien und Mobilien an oder eine anspruchslose Tätigkeit bei gleichem Lohn in der Fabrik oder zahlten auch Lohn pro Spiel. Bereits seit den 1850er Jahren gibt es in England den Begriff professional, also kurz nach dem Compromise Act. Den Begriff „amateur“ gibt es in England aber erst seit den 1880er Jahren; er wurde von Gentlemen benutzt, um sich von dem bezahlten Fußballsport, dem von ihnen so genannt „shamateurism“, abzuheben. Bei manchen Gentlemen existierte eine regelrechte Endzeitstimmung durch die “americanisation”, die angeblich zu Verdummung und Verrohung der Großstadtmenschen führte. Oder man stigmatisierte den bezahlten Fußball als Krebs, der den Sport von innen zerstöre. Die Gentlemen in den FAs versuchten, die unter der Hand erfolgten Entlohnungen durch Disqualifikationen und Sperren der Spieler und Clubs zu stigmatisieren. Aber alles Moralisieren hielt nicht den Lauf der Dinge auf.

Die Grenze zwischen Pro-Profifußball und Pro-Amateurfußball war keine Grenze zwischen dem Süden (Amateure) und dem Norden (Profis), wie es bei Lowerson und Koller zu lesen ist. Es war auch keine Grenze zwischen den Reicheren (Ober- und Mittelschichten) und der Arbeiterschicht. Die Trennung ging durch die Mittelschicht und damit auch durch Vereinsgremien und Fußballspieler; nämlich zwischen jenen aus der Mittelschicht, die sich den Gentleman-Idealen verpflichteten, und denen, die in die Einnahmequellen des entstehenden Massensportes investierten, zum Beispiel als Buchmacher, Bau- und Transportunternehmer, Getränkehersteller oder Manager der Sportartikelindustrie. Tendenziell stimmt aber die Trennung in Nord und Süd schon, wenn auch nicht so rigide. Denn in dem im Nordosten Englands liegenden Lancashire war das mehr oder minder verdeckte Zahlen von Löhnen weit verbreitet. Dabei waren es nicht nur englische Arbeiter, die für ihr Fußballspiel entlohnt wurden, sondern vor allem schottische Fußballspieler, die bewusst ihre Heimat verließen, um in England bezahlte Fußballer zu werden, wissentlich, dass in England der Profifußball verboten war (in Schottland wurde der Profifußball später als in England erlaubt). Sie fanden aber auch schnell Anstellung, da ihre spielerische Finesse bekannt war. So kam es, dass immer mehr schottische Fußballspieler zufällig (wer’s glaubt…) in England bleiben mussten, weil sie den Zug nach Hause verpasst hatten… Charles Edward Sutcliffe, J. A. Brierley und F. Howarth, die zum 50jährigen Jubiläum der Football League mit “The Story of the Football League 1888-1938” einen Rückblick veröffentlichten, fassten diese Phase in ihrer Einleitung wie folgt zusammen:

„The first real development follows the appearance in Lancashire – often under mysterious circumstances – of Scottish players who had strayed over the Border or been surreptitiously spirited across, and by others who had conveniently ‚missed the train back‘ home after coming down with Scottish clubs to visit English clubs. The precise reasons which gave rise to this invasion do not matter a great deal to-day. What it is important to remember is that these were the days of amateurism, and that the influx of so many Scotsmen under suspicious circumstances led to a crisis which had far-reaching consequences.“

Diese weitreichende Konsequenz hieß Football League. Denn nachdem Preston North End 1884 aus dem FA Cup ausgeschlossen wurde, weil ihre Entlohnung und Anwerbung von Spielern öffentlich wurde, protestierten 40 Clubs wie Lancashire, Aston Villa, Walsall Swifts und Sunderland und kündigten an, aus der mittlerweile nationalen FA auszutreten und eine British Football Association zu gründen, in der das professionelle Fußballspiel erlaubt war.

Zuvor erkannte Verbandssekretär Alcock, dass die Entwicklung zum Profifußball nicht mehr aufzuhalten war und versuchte, ihn durch Legalisierung zu kontrollieren. Im Juli 1885 wurde der professionelle Fußball erlaubt, wenn auch zunächst mit einer Gehaltsobergrenze und weiteren Bedingungen: Die Spieler mussten bei der FA registriert sein, in einem Radius von sechs Meilen von Spielort entweder geboren worden sein oder dort seit mindestens zwei Jahre leben und durften während einer Saison nicht bei mehr als einem Verein spielen – außer durch eine Sondergenehmigung der FA. Ihren Meinungswandel begründete die FA, in dem sie die Fußerballerlöhne als irrelevante Vergütung (“irrelevant consideration”) bezeichnete, d.h. Fußballwettspiele quasi aus der Realität ausklammerten. Wettspiele seien Teil einer durch die Regeln der Unerheblichkeit (“rules of irrelevance”) abgeschirmten Spielsphäre und daher könnte Amateurfußball neben Profifußball existieren. Viele Gentlemen aber wandten sich mit der Legalisierung des Profifußballs von dieser Sportart ab.

1888 folgte dann die Gründung der englischen Profiliga, der Football League (FL), die zunächst aus vorwiegend nordenglischen Clubs bestand. Die FL war von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Die erste Saison mit 22 Spielen besuchten insgesamt rund 602.000 Zuschauer (ca. 2488 Zuschauer pro Spiel), zehn Jahre später waren es schon über fünf Millionen (ca. 8651 Zuschauer pro Spiel). 1892 wurde die Second Division der FL gegründet, in der sich Clubs messen konnten, die nicht so erfolgreich wie die FL-Clubs waren. Das gesteigerte Interesse am Fußball lag auch an der Routine, die mit den Ligaspielen einherging, denn sie steigerte Qualität – und auch die Ausgaben für immer bessere Spieler. Zum Beispiel erwarb Middlesborough Ironopolis 1893 innerhalb von drei Tagen eine völlig neue Mannschaft, um den verhassten Konkurrenten aus Huddersfield und Preston endlich ebenbürtig zu sein. Alcocks Ziel, die Kontrolle des Profifußballs, war gescheitert.

Nicht wenige Proficlubs gingen an die Börse. Die meisten hatten nicht das Ziel, reich zu werden, sondern versuchten, mit dieser Methode den Bankrott ihres Vereines zu verhindern – nicht immer erfolgreich. Im Fall von Newton Heath LYR FC, Mitglied der Second Division der FL, die wegen 2670 Pfund (heute gut 308.000 Euro) ) Schulden Insolvenz anmelden mussten, ging es glimpflich aus. Lokale Unternehmer investierten insgesamt 2000 Pfund in den neuen Club Manchester United FC, der schnell wieder in die First Division der FL aufstieg und zu einem deren führenden Clubs wurde.

1890 setzte die FA ein Gehaltsmaximum von zehn Pfund pro Monat fest (entspricht etwa 500 heutigen Pfund), aber schon drei Jahre später wurden Starspieler in der Regel mit 50 bis 75 Pfund/Monat bezahlt. Diese waren aber in der starken Minderheit, denn das durchschnittliche Gehalt von Profifußballern belief sich in diesem Jahr auf drei Pfund/Monat im Winter (d.h. während der FL-Saison) und zwei Pfund/Monat im Sommer (außerhalb der FL-Saison). Dazu kamen Siegerboni von maximal zwei Pfund je gewonnenem Spiel. Die Gehälter waren in der Regel nicht verhandelbar und orientierten sich am Erfolg des Spielers. Nur Starspieler hatten Mitspracherecht.
Paul Brown gibt an, dass der durchschnittliche Fußballspieler bis 1890 das Vierfache eines allgemeinen Arbeiters (nicht Facharbeiter) verdiente, Ende des 1890er Jahre bereits das Zehnfache. 1900 setzte die FA gegen Protest ein Gehaltsmaximum von vier Pfund/Monat fest, das bis 1961 gültig blieb, aber schon vom ersten Jahr an durch großzügiges Schwarzgeldzahlungen und Geschenke umgangen wurde.

Ab 1893 bedurfte es für den Wechsel zu einer anderen Mannschaft der Einwilligung des aktuellen Clubs. Auf der anderen Seite konnte jeder Verein jedes Jahr seine Spieler auf die im Sommer vom League Management Committee veröffentliche Transferliste setzen, denn es gab in der Regel nur Jahresverträge. Die Spieler hatten beim Wechsel keinerlei Protestmöglichkeit, weshalb schon zeitgenössische Berichte die Praxis mit einem Viehmarkt verglichen. Auch die FA kritisierte das System deutlich als unfair, aber nicht wegen der Bevormundung der Clubs, sondern weil sich eingebürgert hatte, dass kleinere Clubs junge Spieler entdeckten und sie dann an vermögendere Vereine für möglichst viel Geld verkauften. Was heute als wirtschaftlich kluge Transferpolitik bezeichnet wird, war für die FA damals offenbar Wettbewerbsverzerrung.
Das Transfersystem veranlasste einige führende FL-Spieler zur Gründung der Association Footballs‘ Union (AFU), einer Fußballergewerkschaft, die jedoch keinen Einfluss nehmen konnte und sehr schnell nicht mehr existierte. 1907 konstituierte sich dann in Manchester die bis heute existierende Professional Footballer’s Association (PFA), die vor allem aus Spielern von Manchester United bestand und die die Beseitigung von Gehaltsobergrenzen und die freie Wahl des Arbeitsplatzes forderte.

Der teuerste Wechsel im englischen Profifußball vor dem ersten Weltkrieg waren übrigens die Transfers von Alf Common 1905 von Sunderland zu Middlesbrough für 1000 Pfund, die nach Paul Brown etwa 110.000 heutige Pfund entsprechen.

Unterstützende Gründe für den Aufstieg des Fußballs zum Massenphänomen

Was unterstützte die steigende Beliebtheit von Fußball in England sonst noch? Die meisten von ihnen wurden schon genannt. Zum einen die Pubs, aber es war auch das Eisenbahnnetz, der Journalismus und die Fotografie. Letztere ermöglichte, all denen einen Eindruck vom Spiel zu vermitteln, die es nicht besuchen konnten und diente außerdem dazu, Berichte in den allgemeinen und speziellen Sportzeitungen zu illustrieren. Sportzeitungen entstanden als Weiterentwicklung des Resultatservice in Pubs. Die Journalisten unterstützten dabei häufig das Amateurideal, um die Berufsethik aufzuwerten. Die Presse wurde in den oberen Schichten mit Indiskretion und Korruption in Verbindung gebracht. Die (Sport-)Journalisten versuchten so, sich öffentlichkeitswirksam als Gentlemen zu präsentieren, wenngleich sie nie den sozialen Status eines solchen erlangen konnten. Und die Eisenbahn erweiterte den Einzugsbereich für die Zuschauer von Sportveranstaltungen und verhalf so auch zu einer Steigerung des Zuschaueraufkommens. Bereits vor der Legalisierung des Profifußballs waren Sonderzüge zu Spielen außerhalb der eigenen Stadt üblich. Mit der Legalisierung des Profifußballs wurden sie dringend erforderlich. Auch das Straßenbahnnetz innerhalb der Städte wurde verbessert, um die Erreichbarkeit der Stadien für die Zuschauerströme zu erleichtern und zu beschleunigen.

Die Wiege der Taktik – Das Kombinationsspiel

Bis in die 1870er Jahre war die übliche Spielweise ein Mix aus „long ball“ und „dribbling game“, also aus dem ziellosen, weiten Vollspannstoß nach vorne (in Kontinentaleuropa „Kick and Rush“ genannt) und dem individuellen Spiel unter Mitführen des Balles. Das frühe Fußballspiel war also ein schnelles Spiel, bei dem das individuelle spielerische Können ausschlaggebend war – und es zu vielen Kontern kam, wenn der Schuss nach vorne oder das Dribbling von den Gegenspielern unterbunden wurden.
‚Ein schnelles Spiel durch die long-ball-Variante?‘, mag sich mancher von euch fragen. ‚In der Zeit ist doch auch ein schnelles Kurzpassspiel möglich und meistens auch erfolgreicher als der weite Ball nach vorne.‘ Und genau da ist auch der Knackpunkt: Nur wenige Mannschaften spielten ein Kurzpassspiel und wurden dafür bewundert, die „science of the football“ zu beherrschen.

Im Rugbyfußball war „scientific football“ schon seit den 1850er Jahren ein Buzzword; im Assoziationsfußball dauerte es ein gutes Jahrzehnt länger. Dass das „combination game“ im Assoziationsfußball Ende der 1860er Jahre aufkam, war kein Zufall, da 1866 (London FA) bzw. 1858 (Sheffield FA) die Abseitsregelung gelockert wurde. War vorher jeder im Abseits, der zwischen Ball und gegnerischem Tor stand, wurde nun die 3-Mann-Regel (London) bzw. 2-Mann-Regel (Sheffield) eingeführt. Nun brauchte man nicht mehr den Ball nur nach vorne zu treiben, sondern konnte eine Position auf dem Spielfeld einnehmen.

Der Begriff „combination game“ wurde erstmal von dem hier schon häufig genannten Charles William Alcock 1874 benutzt: „Nothing succeeds better that what I may call a ‚combination game‘“, äußerte er beim Anblick eines Spiel der Fußballmannschaft der Royal Engineers. Viele Sportberichte übernahmen aber zunächst nicht diesen Begriff, sondern versuchten, mit eigenen Worten die Spielweise der Royal Engineers, Shropshire Wanderer, Cambridge University AFC, Derby School, von Nottingham Forest, des Trent Colleges, von Queen’s Park und Mannschaften aus der Sheffield FA zu erklären. Dabei glich sich das combination game der verschiedenen Mannschaften nicht ganz. Der Sheffield style wurde als „passing on“ (direkte Weitergabe des Fußballs) bezeichnet, der Spielstil der Royal Engineers als „backing“ (Angriffsspiel mit Absicherung gegen Konter) und der Queen’s Park-Style als „Scottish style“ bzw. „Scotch style“. Aber alle Spielstile hatten das neuartige Passspiel zwischen mehreren Spielern gemein – Kurzpassspiel statt long ball und individuelles Ballmitführen.

In der zeitgenössischen Spielberichterstattung umschrieb man diese Spielweise in Sheffield und die der Royal Engineers als schnelle („quick piece of play“,„scientific movements“, „scientific play“) und kluge („attracted especial[!] attention by their clever play“, “tactical passing”) Spielweise mit akkuratem Zuspiel („remarkeably neat“, “turned the ball”) und Zusammenspiel (“these three play in concert”, „played beautiful together”, “worked well together”), mit Absicherung (“backed up each other”, “has learned the secrets of football success – backing up”) und wenigen Dribblings (“very little dribbling was displayed”).

Die Spielstile dieser Mannschaften waren aber noch wesentlich statischer als das heutige Kombinationsspiel, denn es beinhaltete kein systematisches, einer bestimmten Taktik folgendes Spiel. Auch blieb das Spielsystem beim 1-2-7.

Das Kombinationsspiel entwickelte zunächst Queen’s Park noch in den 1870er Jahren und ein paar Jahre später entwickelte Cambridge University AFC die schottische Spielart zum heute üblichen Kombinationsspiel weiter, in dem jeder Spieler einem Bereich auf dem Spielfeld zugeteilt ist und nach vorgegebenen Schemata mit seinen Mitspielern spielt. So entwickelten sich auch neue Spielsysteme. Queen’s Park spielte in einem 2-2-6- oder 2-2-3-3-System, Cambridge im 2-3-5-System.

Der Scottish style wurde als “most creditable” und immer wieder als “fine style” bezeichnet. Ihn kennzeichnete ein gutes Zusammenspiel (“worked well together”, “worked […] well together through knowing each other’s play”, “played excellently well together”, “working beautifully to each other’s feet”, “adepts in passing the ball”, “development of scientific passing and cohesion between halfbacks and the forwards as a counter to the traditional dribbling and individuality”) und die Fähigkeit, ein Fußballspiel aufzubauen und zu machen (“drove their opponents before them”, “profound influence in fashioning the technique of the game”). Das Cambridger Spielsystem wurde 1891 so beschrieben: “[It] illustrate[s] the full possibilities of a systematic combination giving full scope to the defense as well as the attack”.

Das kombinationsreichere Spiel von Queen’s Park wurde durch die im Vereinsregelwerk („Rules of the field“, 1867) festgeschriebene 2-Mann-Abseitsregel ermöglicht, die zudem nur 15 yards (= 13,716 Meter) vor dem gegnerischen Tor galt. Außerdem trainierte Queen’s Park das Zuspiel in Gruppen auf Kleinfeldern. Das war völlig neu – wenn es überhaupt Training gab, dann war es reines Ausdauertraining. Der Queen’s Park-Style wurde durch Spiele der Mannschaften gegen andere schottische Vereine bekannt und von diesen imitiert. So wurde aus dem Queen’s Park-Style der „Scottish style“. Beim ersten Aufeinandertreffen der englischen Fußballerauswahl auf die der Schotten im Jahr 1872 konnte das englische Team trotz seiner schnellen und dribblingstarken Spieler dem verzahnten Spiel der Schotten nur wenig entgegensetzen. Spielerisch stand dem damals üblichen 1-2-7 der Engländer die schottische Auswahl im 2-2-6-System gegenüber, was das schottische Spiel zusätzlich agiler machte.

England konnte zwischen 1872 und 1885 nur drei der alljährlichen Spiele zwischen England und Schottland gewinnen. Als England 1882 5:1 gegen den nördlichen Nachbarn verlor, änderte sich auch in England endgültig die Spielart von Fußball. Im Norden Englands hatte sich der „Scottish style“ bereits einen Namen gemacht. Wie schon im Abschnitt zur beginnenden Professionalisierung beschrieben, kamen einige schottische Fußballspieler auf „missionary visits“ nach England, blieben dort und wurden später auch von den nordenglischen Vereinen direkt angeworben. „Scottish professors“ wurden sie genannt, weil sie die „science of the game“ kannten und den englischen Vereinen lehren konnten. Nun begannen immer mehr englische Mannschaften, auf das „combination game“ umzustellen und das Passspiel zu trainieren.

Der englische Fußball revolutionierte sich also konzentriert in den 1880er Jahren durch die Legalisierung des Profifußballs nebst all seinen flankierenden Entwicklungen und durch die Übernahme des als „Scottish style“ bekannten Kombinationsfußballs. Für mich sind diese beiden Umbrüche so tiefgreifend, dass sie aus meiner Sicht die Wendepunkte zum modernen Fußball darstellen. Was in der Folgezeit passierte, waren nur die Konsequenzen aus diesen Ereignissen.